|  |  epd Film (Evangelischer Pressedienst), 
              Ausgabe Nr. 10/1993, Seite 36 f. Ein Herz im Winter:{untertitel}Der Lehrling, der sich von dem Geigenbauer und 
              Restaurateur Stéphane in seiner Kunst unterweisen läßt, 
              ist ein andächtiger Schüler. Gleichwohl folgt er nicht 
              in allem Stéphanes Beispiel: Mit dem Ende des Arbeitstages 
              gibt der Junge seiner Freundin den Vorzug. Stéphane dagegen 
              lebt allein, sein Bett steht in der Nähe der Geigen. Auch nach 
              Feierabend beugt sich der gutaussehende Mitvierziger mit dem verhaltenen 
              Blick, den Daniel Auteuil bald in einem Lauern erstarren läßt, 
              bald zur Abwesenheit dämpft, über ihren Körper. Der Anfang bestärkt darüber hinaus das wortlose Verständnis, 
              das Stéphane und sein etwa gleichaltriger, doch ungleich 
              weltgewandter Chef Maxime einander entgegenbringen. Aus den Geschäftsräumen 
              der Firma, deren altmodische Noblesse und Gastlichkeit Maximes Wesen 
              zugeordnet sind wie Stéphane das melancholische Dämmerlicht 
              seiner Werkstatt, kommt Maxime Stéphane zu Hilfe. Während 
              Stéphane Klangkörper und Resonanzboden der Geige aufeinanderpreßt, 
              legt Maxime die hölzernen Schraubstöcke an, die das Instrument 
              (bis) zur Vollendung unter Druck setzen. In diesem vierhändigen 
              Einsatz, der sich im Handumdrehen als Metapher einer eingespielten 
              Beziehung zu erkennen gibt, die nur durch Distanz und Aufgabenteilung 
              funktioniert, nehmen die beiden Männer den Wendepunkt der Geschichte 
              vorweg. Bislang war es der dritte Körper, das Medium der Musik, 
              das Medium einer geteilten Berührung, über dem sie zusammenkamen. Doch die nächste Geige, die Maxime Stéphane zur Reparatur 
              bringt, verkörpert mehr als ein Instrument, das von schnarrenden 
              Seiten geheilt werden soll. Die nächste und letzte Geige, die 
              Stéphane für Maxime zu einer luziden, einer triumphalen, 
              einer erschreckenden Klarheit umstimmt, gehört der Frau, die 
              Maxime liebt. Diese Geige ist nichts anderes als die Zuflucht einer 
              verschlossenen Seele, die in ein Stück Holz gefahren ist. Der Steg müsse gespannt werden, verkündet Stéphane, 
              dem die ebenso schöne wie spröde Violinistin Camille Kessler 
              (Emmanuelle Béart) zur Diagnose aufspielt. Der Steg aber 
              läßt sich im französischen "l'ame" auch 
              als Seele verstehen. "Die Seele auf den Punkt bringen", 
              das ist eine Formulierung, die Sautet, Authentizität und Doppeldeutigkeit 
              poetisch vermählend, der Sprache der Geigenbauer abgelauscht 
              hat. So wie Sautet diesen Satz instrumentiert, ihn ins Verhältnis 
              setzt zu den ersten, sprunghaft und provokant wirkenden Passagen 
              aus Maurice Ravels "Trio für Klavier, Violine und Violoncello", 
              die Camille Stéphane während ihrer Proben zu einer Schallplattenaufnahme 
              vorspielt, bringt sich noch etwas anderes zu Gehör: Bald danach 
              kommt die mit sich selbst und der Musik ringende junge Frau, die 
              sich von Maxime liebevoll gefördert, doch nicht herausgefordert 
              weiß, aus dem Takt, sobald sie sich von Stéphane beobachtet 
              fühlt. Emmanuelle Béart beherrscht von der gestrengen 
              Musikerin bis zur zunehmend aller Haltung beraubten Liebenden eine 
              Gefühlsspanne, die nicht minder bewundernswürdig ist als 
              die Immitation der musikalischen Technik, die sich die Schauspielerin 
              für den Film angeeignet hat. Ihr gespieltes Geigenspiel, gelenkt 
              und gesteigert von den zunehmend wilderen Tempi des Ravelschen Trios, 
              wird zu vollkommenen Ausdruck der Verwandlung, die Camille durchläuft.Stéphane 
              umwirbt sie eher beiläufig, doch Camille ist entschlossen, 
              jede Aufmerksamkeit als Wink der Liebe zu verstehen. Sautet setzt indessen andere Zeichen. Während der Schallplattenaufnahmen 
              lehnt Stéphane neben der roten Ampel, die den Moment des 
              (Sich) Produzierens signalisiert und den Zuschauer zum Schweigen 
              anhällt. Die Musikerin, die Frau, die in einem isolierten Raum 
              ihr Äußerstes gibt, der Betrachter hinter den Scheiben, 
              der unbewegt und stumm auf immer ein Voyeur bleibt -- in diesem 
              Licht zeigt sich bei Sautet, was Camille irrtümlich für 
              eine Liebesgeschichte hält. Eine Frau zwischen zwei Männern, ein Trio im Mittelgrund (mit 
              einem Cellisten, der zudem in Camille verliebt ist), das wäre 
              ein annehmbares, doch wenig beunruhigendes Spiel. Sautet befolgt 
              seine Regeln nur zum Schein, seine Charaktere fügen sich nicht 
              in das Klischee von untreuen Frauen, falschen Freunden und gehörnten 
              Liebhabern. Nicht das Bild, das die Protagonisten abgeben und in 
              Gesellschaft füreinander entwerfen, zählt für Sautet, 
              sondernd er Rahmen der Geschichte, jenes Geflecht aus (Schutz-)Behauptungen 
              und Halbwahrheiten, Täuschungen und Selbsttäuschungen, 
              verkannter und zu spät bekannter Freundschaften, das die Beziehung 
              zwischen Maxime und Stéphane, aber etwa auch die zu ihrem 
              ehemaligen Geigenlehrer Lachaume aufrechterhält. Gemeinsam haben Maxime und Stéphane das Konservatorium besucht, 
              beide sind sie als Geigenspieler gescheitert. Über die Arbeit 
              hinaus ist es die Zuneigung zu dem todkranken Lachaume, die zwei 
              Männer vereint, die unterschiedlicher nicht sein könnten. 
              Nicht einmal in ihrem Scheitern als Musiker ähneln sie sich. 
              Der weltgewandte und geistreiche Maxime hat sich bei Lachaume lediglich 
              als talentierter Laie erwiesen, der verschlossene Stéphane 
              bringt sich als Kritiker seiner selbst zu Fall. So absolut ist Stéphanes 
              Gehör, daß er zum Künstler nicht taugt. Die Notwendigkeit 
              der Selbsterprobung, eine Entwicklung, die jedem künstlerischen 
              Fortschritt, aber eben auch jeder Menschwerdung vorangeht, beleidigt 
              sein anspruchsvolles Empfinden. Auch deswegen ist der verstummte 
              Musiker, den das Ausmaß seiner Ansprüche von der Kunst 
              und vom Leben fernhält, in diesem Film des ehemaligen Musikkritikers 
              Sautet ein genialer Restaurateur: Die verdorbene Vollkommenheit 
              ist Stéphanes Passion, weil er Vollkommenheit nicht erreichen, 
              wohl aber wiederherstellen kann. "Du wirst Dich freuen", 
              muntert Maxime, der auf Reisen eine kostbare Geige aufgestöbert 
              hat, Stéphane einmal auf, "sie ist prächtig, doch 
              ruiniert." Es sind die Nuancen, die Anstrengung, den Figuren und ihren Beweggründen 
              zutiefst gerecht zu werden, die einen Film auszeichnen, der die 
              Vertracktheit menschlicher (Selbst-)Darstellung und Wahrnehmung 
              dem Ausspielen einer Geschichte vorzieht. Die Geschichte könnte 
              Stéphane, der in Anlehnung an ein Experiment des gelangweilten 
              Dekadents aus Lermontovs Erzählung "Ein Held unserer Zeit" 
              Camille das Gefühl der Liebe einflößt ohne sie wiederzulieben, 
              mit der Rolle des Menschenfeindes bedenken. Maxime ließe sich 
              leicht auf den Part des rasend Eifersüchtigen festlegen. Doch 
              bei Sautet geht die Geschichte Umwege, weil es ein Ziel, ein Ankommen 
              für ihre Protagonisten nicht geben kann. Das Zentrum des Films 
              bleibt leer, die Liebe findet nicht statt. Maximes wissentlicher 
              Verzicht auf Camille bleibt eine Geste vergeblichen, verzweifelten 
              Großmuts, weil der Freund, für den er zur Seite tritt, 
              die Geliebte lächelnd verschmäht. Camilles emotionale 
              Bankrotterklärung, ihre Geständnisse und Schreie, ihre 
              Selbsterniedrigung gehen Stéphane schon nichts mehr an. Vollziehen 
              will er sie nicht, diese Liebe, die er aus Neugierde, vielleicht 
              aus Eifersucht auf die zur Liebe Befähigten geweckt hat. "Ich 
              liebe dich nicht", diesen Satz in den Augen der Liebenden wirken 
              zu sehen, einen Skandal zu entfachen, der nur dem des Todes gleichkommt, 
              das ist es, was Stéphane davonträgt: Nicht als Sieg, 
              sondern als Wunde. Etwas vollkommenes hat er zerschlagen, dennoch werden Zeit und 
              Vergessen die Zerstörung kaschieren. Maxime und Camille werden 
              sich wieder zusammentun. Camille wird aus der Begegnung mit Stéphane 
              ernüchtert und leidgeprüft, und das meint auch, als bessere 
              Künstlerin, hervorgehen. Nur der Restaurateur weiß sich 
              nicht zu helfen. Nicht als Dämon, nicht als Immoralist, nicht 
              mal als Rebell wider die Normalität hat Sautet die Figur des 
              Stéphane angelegt. Viel eher ist er ein Daueranalysand, ein 
              Theatergänger inmitten der Realität, dem die Unfähigkeit 
              aus der Rolle des ewigen Zuschauers auszubrechen, letztlich durch 
              und durch geht. Für einen einzigen Dienst läßt sich 
              dieses "Herz im Winter" erwärmen, das ist der Tod, 
              den nur Stéphane dem siechen Lachaume zu geben vermag. Wenig 
              später wird der Mann, der dem einzigen Menschen, den zu lieben 
              er sich jemals eingestehen konnte, wortlos eine tödliche Injektion 
              gegeben hat, wieder in seinem Stammcafé sitzen. Maxime und 
              Camille werden auftauchen wie früher, zum Abschied werden Küsse 
              vergeben, Blicke verschenkt. Für den Blick, mit dem Stéphane zurückbleibt, 
              für die Aussicht auf das Leben, das hinter den Bistroscheiben 
              an ihm vorbeizieht, gibt es den Austausch nicht mehr, nicht den 
              Blick, den man wechselt. Der Held unserer Zeit bleibt auf seinen 
              Einsichten sitzen, sei es im Café, sei es im Kino. von Heike Kühn |  |