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Süddeutsche
Zeitung, Nr. 232/1993 vom 7. Oktober 1993, Seite f16:
Ich
liebe Sie nicht.
Claude
Sautets großartiger Film Ein Herz im Winter
Ein eisiges Herz schlägt auf dem Grund dieses Films und treibt
die Geschichte gnadenlos ihrem Ende zu. Der dumpfe Schlag stammt
von Lermontows Novelle, die beim Drehbuch Pate stand. Darin geht
es um einen Mann, der eine Frau zur Liebe verführt, nur um
ihr dann sagen zu können: Ich liebe Sie nicht! Von dieser Anekdote
ist am Ende nichts als die Abfuhr übrig geblieben, aber man
kann ihre Grundzüge noch schemenhaft erkennen. Wie einen bleichen
Fisch unter dem Eis eines zugefrorenen Sees.
Der Titel Ein Herz im Winter sagt schon alles über den
Helden. Seine Gefühle sind eingefroren, sein Herz ist vereist.
Man sieht es ihm nicht gleich an, denn die Schweigsamkeit und Bedachtheit
sind Teil seines Berufs. Stéphane (Daniel Auteuil) ist Geigenbauer
und gibt sich seiner Arbeit mit jener Versunkenheit hin, die dieses
in die Stille gerichtete Handwerk erfordert. Da ergänzt er
sich ideal mit seinem Freund und Partner Maxime (André Dussollier),
der im Umgang mit den Musikern jenes Geschick besitzt, das Stéphane
im Umgang mit seinen Instrumenten auszeichnet. Die beiden haben
sich in ihrer Liebe zur Musik gefunden.
Schon der Anfang beweist Sautets Meisterschaft. Da legt sich Stéphanes
Stimme über einen kurzen Bilderbogen aus dem Leben der beiden
Freunde. Man sieht sie, wie sie Musikern beim Vorspiel mit verstimmtem
Instrument zuhören, wie sie in der Werkstatt gemeinsam Hand
anlegen, wie sie beim Konzert applaudieren, wie sie Squash spielen
und im Restaurant sitzen. Danach weiß man alles über
ihre Hingabe, ihr Verständnis, ihr Verhältnis. Maxime
nimmt das Leben und die Liebe auf die leichte Schulter, Stéphane
sieht ihm dabei neidlos zu. Der eine macht aus dem Leben eine Kunst,
der andere aus der Kunst ein Leben.
Da kommt die Geigerin Camille (Emmanuelle Béart) ins Spiel,
und diesmal ist es Maxime zur Abwechslung ernst. Er zeigt sie seinem
Freund in einem Restaurant, wo sie ein paar Tische entfernt sitzt.
Später bringt er sie mit in die Werkstatt, wo sie Stéphane
ihr verstimmtes Instrument vorführt. Er hört ruhig zu,
dann macht er sich ans Werk. Zu Camille äußert er sich
Maxime gegenüber nicht weiter. Er sieht zu und wartet ab. Er
kennt seinen Freund. Aber schon bald wird klar, daß Camille
Stéphanes ruhige Art als aufreizend empfindet. Bei einem
Hauskonzert kommt sie unter seinem ungerührten Blick mehrfach
aus dem Takt. Die beiden, würde man sagen, finden einander
nicht sonderlich sympathisch. Aber sie haben eben in Maxime einen
gemeinsamen Freund.
Eine Choreographie aus Gesten und Blicken entwirft Claude Sautet
in diesem Film, in der sich Ungesagtes und Unmerkliches zur wahren
Geschichte des Films aufschwingen. Im kühlen Arrangement der
Bilder werden die Spannungen, die sich zwischen den dreien aufbauen,
nach und nach greifbar. Und die Regie unternimmt alles, ihnen keine
Möglichkeit zum Entweichen zu bieten. Es gibt keine klärenden
Worte, keine eindeutigen Absichten. Es gibt nur die Emotionen, die
sich schleichend ausbreiten. Man könnte es auch Liebe nennen.
Camille verliebt sich in Stéphane. Aber der verleugnet
seine Gefühle. Vielleicht hat er Angst; vielleicht ist er dazu
einfach nicht fähig. Atemlos folgt man dem grausamen Spiel
und fragt sich mit Camille, wie es möglich war, daß man
sich so täuschen konnte: Als Sie mich besuchten, im Studio,
als es regnete. Das habe ich doch nicht geträumt. In der Tat
war das eine wunderbare Szene. Alles schien möglich. Wie im
Traum.
Die grandiose Kamera von Yves Angelo organisiert die Räume
so, daß die Oberflächen so transparent wie möglich
wirken. In jener Szene im Tonstudio etwa geht Stéphanes Blick
durch eine Glasscheibe, worin sich gleichzeitig ganz gut sein Verhältnis
zur Welt spiegelt. So wird immer wieder die Distanz spürbar,
die der Held zwischen sich und seine Umgebung gelegt hat.
Stéphane, der in seiner Freizeit Spieluhren repariert,
erwartet auch vom Leben reibungsloses Funktionieren. Die Emotionen
erscheinen ihm wie Sand im Getriebe der selbst auferlegten Perfektion.
Den reinen Klang, den er von den Gefühlen erwartet, findet
er nur in der Musik. So hat er alle Leidenschaft in seinen Instrumenten
begraben. Als ginge ihm selbst der Resonanzboden für seine
Gefühle ab.
Gerade durch die Verleugnung scheinen sich die Gefühle besonders
deutlich abzuzeichnen. Der Film pulsiert vor innerer Spannung, und
der äußere Ablauf paßt sich dem an. Die Geschichte
scheint in ihrem Fortgang zu changieren wie die Stimmungen. Bis
zum Ende. Das ist ein Anfang. Frühling, Schneeschmelze, und
die ersten Triebe brechen durchs Eis.
(in München im Filmcasino, Odyssee, Rex, Isabellla, Cinema)
von Michael
Althen
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