Ein Herz im Winter

„Ein Herz im Winter
Zeitungskritiken zum artverwandten Film:

„Nelly & Monsieur Arnaud”

Berliner Zeitung
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Berliner Zeitung, Ausgabe Nr. 9/1996 vom 11. Januar 1996, Seite 40

Zwei Herzen im Winter

Claude Sautets stilles Melodram
„Nelly & Monsieur Arnaud”

In der entscheidenden Szene dieses Films geschieht so gut wie nichts: Ein alter Mann sitzt vor dem Bett einer jungen Frau. Sie schläft. Er streicht mit seiner Hand an den Konturen ihres Rückens entlang, ohne die Haut zu berühren. Sie erwacht; er will beschämt das Zimmer verlassen. Sie bittet ihn zu bleiben und schläft ruhig wieder ein.

Ein unerfülltes Begehren. Das Zugeständnis einer unmöglichen Beziehung, der ein Wort wie „Liebe” viel zu nahe treten würde. Ein stillschweigendes Einverständnis über ein unbenennbares Etwas, das zu nichts führen wird. Vieles kreist um diese Szene. Und doch ist sie alles andere als das Auge des Hurrikans, ist kein stilles Zentrum, in dem die dramatische Handlung nur einmal kurz zur Ruhe kommt, um ihren Kern zu erhellen. Nein, auch vorher und nachher geschieht wenig.

Rund 100 Minuten beobachtet man in Claude Sautets neuem Film „Nelly & Monsieur Arnaud” die Hauptfiguren dabei, wie sie aufeinander zu, aneinander vorbei, umeinander herum schleichen. Beide sind Verlierer des Lebens, in Gefahr, das Erleben zu verlieren, weil sie wenig von ihren Wünschen wissen. Schwankende Gestalten in einer verschwimmenden Geschichte — nach allen Regeln von Drama und Handlung, Inhalt und Entwicklung müßte dieses Werk zum Einschlafen sein. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Wohl nur in Frankreich ist es möglich, einen so ätherischen Stoff überhaupt für Kino-würdig zu halten. Zwei einsame Menschen, deren seelische Probleme nicht einmal eine Liebesgeschichte hergeben — so etwas kann nur auf die Leinwand bringen, wer noch auf das Interesse an schlichten tiefen Charakteren vertraut. Claude Sautet gehört dazu. Er filmt so unbeirrt an den Dogmen von schrillen Typen und flotter Story vorbei, daß allein dem Respekt gebührt. Bewunderung verdient, wie er aus einem Drehbuch, in dem alles eben nicht stattfindet, einen Film macht, in dem man mit immer mehr Anteilnahme die scheinbar nebensächlichsten Begegnungen verfolgt.

Sautets jüngste Filme sind Melodramen. Aber anders als die klassischen Beispiele des Genres handeln sie nicht von stürmischer, sondern von fehlender Leidenschaft. „Ein Herz im Winter” hieß Sautets letztes Werk. Sein neues könnte „Zwei Herzen im Winter” heißen.

Die junge Nelly (Emmanuelle Béart) verläßt ihren Mann, weil die Beziehung ins Leere gelaufen ist. Über eine Freundin lernt sie den älteren Monsieur Arnaud (Michel Serrault) kennen, der sie zum Abschreiben seiner Memoiren engagiert. Stück für Stück kommen sich die beiden näher – umspült von anderen Bekannten – ohne sich je wirklich nah zu sein. Am Ende, als es Abschied nehmen heißt, kennen sie wenigstens die gegenseitige Anziehungskraft.

Sautet hält eine stille starke Balance zwischen Schwermut und Nonchalance — und seine Hauptdarsteller tragen viel dazu bei. Michel Serrault spielt hier ungewohnt diskret und gibt seiner Rolle trotzdem alle typische brillante Schrulligkeit mit. Und die „französische Frau” Emmanuelle Béart kann hier das Femme-fatale-Klischee der letzten Filme abschütteln. Als Nelly ist sie völlig unaffektiert, schlicht schön und eindringlich — man darf sich wieder auf die nächsten Rollen freuen. Interessanter als bei Sautet werden sie kaum sein.

von Merten Worthmann
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