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Die Presse, 7. Februar 1996, Seite 22, Ressort: Kultur
Taktvoll unterdrückte Leidenschaft
Claude Sautet, kühler Chronist und sanfter Poet, erzählt
in Nelly & Monsieur Arnaud, von der bitteren Schönheit
einer (un)möglichen Liebe. Derzeit, leider nur in deutscher
Fassung, im Kino.
Langsam und ohne zu berühren streicht die Hand eines alten
Mannes über die Konturen der nackten Schulter einer schlafenden
jungen Schönheit; die Frau öffnet die Augen und greift
nach der bereits wieder zurückgezogenen Hand, um sie zärtlich
zu umschließen: Mit diesen wenigen, zaghaften Gesten skizziert
Claude Sautet den dramaturgischen Höhepunkt einer (im Kino
der Gefühle ungewöhnlichen) Annäherung, welche
sich in Distanz entfaltet. So wohltuend unspektakulär (und
unspekulativ) wie diese Szene ist auch das Szenario von Nelly
& Monsieur Arnaud: Zufällig und mit halbem Interesse
macht Nelly (Emmanuelle Béart), eine vor der Scheidung
stehende und um eine passable Existenzform ringende Frau, die
Bekanntschaft des um etliche Jahrzehnte älteren Monsieur
Arnaud (Michel Serrault). Als der ein sorgenfreies Pensionistendasein
führende Mann beiläufig von Nellys Finanznöten
hört, macht er ihr in unverbindlichem Ton das Angebot, mit
einer beliebigen Geldsumme auszuhelfen und sie als beratende Sekretärin
für die Niederschrift seiner Memoiren zu engagieren.
Schelmisch, sachlich
Da sich Arnauds offenkundiges Interesse an der jungen Frau lediglich
in einer amüsanten Mischung aus väterlichem Wohlwollen
und charmanter Freundschaftlichkeit äußert, verliert
Nelly nach und nach ihre anfängliche Skepsis und beginnt,
Arnauds Zuneigung, sehr zurückhaltend, zu erwidern. Wie bereits
in seinem letzten Film, dem exzellenten Liebes- und Persönlichkeitsdrama
Ein Herz im Winter, wählt Sautet in Nelly einen fast schelmisch
sachlichen Erzählton für die Feinzeichnung einer kaum
ergründlichen, aber doch vorsichtig ertastbaren Welt der
Gefühle. Mit schlafwandlerischem Gespür für jene
Nuancen, die das scheinbar Nebensächliche zum Wesentlichen
machen, läßt der Regisseur seine Hauptdarsteller ein
durchgängig stimmiges Dialogbuch in eindringliches Schauspiel
umsetzen. Wenn Sautet vorsichtig andeutet, erfährt man mehr,
als er je direkt formulieren könnte, und obwohl (oder gerade
weil) er die Handlung ohne jeden Knalleffekt ausbaut, involviert
er den Zuseher. Es wurde Sautet vorgeworfen, mit diesem Film einer
Alte-Männer-Phantasie zu frönen. Nun denn: Wenn alte
Männer aus ihren Phantasien auf so subtile Weise Geschichten,
die gewiß niemanden langweilen, zu spinnen verstehen, wieso
sollten sie da nicht phantasieren dürfen?
von Robert Buchschwenter
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