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Salzburger Nachrichten, 4. Mai 1996
Was wichtig ist und was nicht
Die Geschichte einer Annäherung: Sautets Nelly und Monsieur
Arnaud
Wenn der reife Monsieur Arnaud Nelly in ein besseres Pariser
Lokal ausführt, kann es schon vorkommen, daß der kredenzte
Wein deutlich älteren Jahrgangs ist als seine Begleiterin.
Eine Liebesgeschichte zwischen einem spendablen alten Herren und
einer jungen Frau, die nichts dagegen hat, wenn in sie investiert
wird? Die Sehnsucht eines Alten nach der Jugend oder der Einstieg
einer Blutjungen ins reife Erwachsenenleben?
So einfach ist diese Geschichte nicht: Die beiden kommen zufällig
zusammen. Nelly hat sich gerade zum Entschluß durchgerungen,
daß eine Scheidung unumgänglich sein wird, da ihr Mann
keine Anstalten macht, sich nach einer Arbeit umzusehen. Der menschenerfahrene
Monsieur Arnaud sieht auf den ersten Blick, daß Nelly in
diesem Moment ein todunglücklicher und obendrein von Geldschwierigkeiten
bedrückter Mensch ist. Er macht ein generöses Angebot
(kein zweideutiges!), Nelly lehnt natürlich ab. Dann
sagt sie doch zu, wird Monsieur Arnauds Privatsekretärin.
Sie tippt die Lebensgeschichte des interessanten Mannes in den
Computer und fängt etwas mit dessen Verleger an.
Also eine Dreiecksgeschichte? Ja, auch. Aber noch viel mehr.
Seelenempfindungen gehen eben nicht nach dem Schema von Groschenromanen.
Nelly könnte ja die Enkelin von Monsieur Arnaud sein der
Altersunterschied wird nicht verwischt und nicht wegdiskutiert.
Er ist das Thema und wird doch nicht ausgesprochen. Es zeigt sich,
daß der reife Mann wesentlich weniger Schwierigkeiten hat,
sich mitzuteilen, als die junge Frau.
Nelly und Monsieur Arnaud ist ein neues Meisterstück
von dem brillanten Menschenbeobachter Claude Sautet, der mit Emmanuelle
Béart zuletzt 1992 Ein Herz im Winter drehte. Wie passen
indes Sautets subtile Kammerspiel-Kunst mit dem Hauptdarsteller
Michel Serrault zusammen, den man ja doch eher im komischen Fach
erwartet? Vielleicht hätte gar niemand anderer als er diese
Rolle so differenziert spielen können, denn Monsieur Arnaud
ist eben nicht nur jener lebensweise Philantrop, als der er sich
selbst sieht und nach außen darstellt. Er ist auch Grand
Guignol, ein schrulliger Eigenbrötler, der seine kostbare
Privatbibliothek ohne Federlesens auflöst, weil ihm Bücher
einfach nicht mehr wichtig sind. Was ist ihm jetzt wichtig? Falsch
geraten: Er beabsichtigt keineswegs, Bücher gegen eine junge
Freundin einzutauschen
Spiegelbilder sind ein wichtiges Stilmittel von Claude Sautet:
Er stellt die handelnden Personen gerne in Restaurants oder Kaffeehäusern
vor, vor Wandspiegeln. Je mehr die Protagonisten von sich offenbaren,
umso mehr wird dieses artifizielle Mittel zurückgenommen.
Sautet handhabt das konsequent, aber völlig unaufdringlich.
Er geht nie über durchaus konventionelle Kamera-Sehweisen
der Nouvelle Vague hinaus: ruhige, lange, genaue Aufnahmen von
Gesichtern; von den Räumen gerade soviel wie notwendig um
Milieu und Stimmung gediegen einzufangen.
Nelly und Monsieur Arnaud lebt von der differenzierten Darstellung
durch Michel Serrault; seine Rolle ist wesentlich dankbarer als
die seiner Partnerin. Emmanuelle Béart läßt
eindrucksvoll mitfühlen, wie sehr diese junge Frau verunsichert
wird von den ihrer Generation so völlig fremdartigen Denkwelten
des Monsieur Arnaud. Sie vermittelt aber ganauso glaubwürdig,
daß gerade aus dieser Verunsicherung die Überzeugung
wächst, ihren eigenen Weg gehen zu wollen. Ihr Spiel besticht
durch delikat beherrschten, feinen mimischen Ausdruck.
Claude Sautets Kammerspiel hält noch manch einprägsamen
Charakter am Rande bereit. Der Regisseur und sein Drehbuchautor
haben sich einen Spaß daraus gemacht, Figuren aus der Vergangenheit
der beiden Hauptfiguren einzubeziehen; so ist Nelly und Monsieur
Arnaud auch nicht wenig spannend, denn die Geschichte könnte
einige Male völlig andere Wendungen nehmen. Klar, daß
Sautet dem Publikum eine billige Lösung versagt.
von Reinhard Kriechbaum
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