|
Süddeutsche Zeitung, 9. Januar 1996, Seite 12
Ein Solitaire im Kammerspiel
Eine Begegnung mit Claude Sautet anläßlich seines neuen
Films Nelly und Monsieur Arnaud
Ein klarer Fall, das ist doch reiner Kawabata
Mit offenkundigem
Vergnügen erzählt Claude Sautet, wie einer seiner Freunde spontan
auf seinen neuen Film reagierte; an den berühmten japanischen
Literaturnobelpreisträger Kawabata hat ihn die Geschichte von
Nelly und Monsieur Arnaud erinnert, an dessen Erzählung von der
schönen Schläferin, und an ein Genre der japanischen Literatur
allgemein: all die Geschichten von einsamen alten Männern, die
nach Jahren als Solitaire sich noch einmal aufraffen und versuchen,
das Leben zu entdecken und zu erobern: die Liebe vor allem, die
sie auf eigene, nahezu keusche Weise, bei den jungen Mädchen
suchen. Bei Sautet funktioniert diese Art der Kommunikation über
die Erinnerungen, die Memoiren: Arnaud wirbt Nelly erst mal für
einen Schreibtisch-Job an, um seine Diktate zu Papier zu bringen.
Der alte Mann und das Mädchen
Der Vergleich mit dem renommierten
Literaten und diese Übereinstimmung mit einem Motiv der japanischen
Literaturgeschichte machen Sautet sichtlich Spaß. Was keineswegs
dazu im Widerspruch steht, daß seit einem Vierteljahrhundert
keiner so unsentimental und genau die französische Gesellschaft
analysiert wie er, in Filmen wie Die Dinge des Lebens (1969),
Cesar und Rosalie (1972), Eine einfache Geschichte (1978), Einige
Tage mit mir (1987), Ein Herz im Winter (1991).
Ein schmales uvre, Sautet nimmt sich Zeit zum Beobachten und
zum Ausspinnen seiner Geschichten. Mehrere Jahre hatte er einen
fabelhaften Ruf wegen seiner Fähigkeit, für seine Kollegen all
jene Scripts zu retten, mit denen andere nicht mehr zurechtkamen.
Ein unspektakuläres Werk also; aber von einer beeindruckenden
Geschlossenheit, wie man sie heute allenfalls noch bei Claude
Chabrol oder Agnes Varda findet.
Bei dem, was Sautet heute macht, ist man versucht an das zu
denken, was Antonioni in den Sechzigern, Bunuel in den Siebzigern,
Lumet in den Achtzigern gemacht haben. Sautet selbst hält sich
zurück, wenn es um seine Kollegen geht; er bleibt selber Solitaire
im Filmbetrieb: Ich hatte nie enge Beziehungen zur Gruppe dieser
Filmemachern. Mehr läßt er sich nicht entlocken, wenn man ihn
auf die Nouvelle Vague anspricht, oder auf seine amerikanischen
Vorbilder, Hawks oder Walsh.
Das wird 1965 unser größter Cineast sein, hatte 1962 Jean-Pierre
Melville prophezeit, als er gerade Classe tous risques gesehen
hatte. Inzwischen hat sich Sautet vom Gangsterfilm fortbewegt
zu dem, was er Kammerspiel nennt: wobei er die Assoziationen kennen
dürfte, die sich mit dem Begriff verbinden. Vielleicht, räsonniert
er, seien deshalb seine Filme heute eher für ein Publikum von
Frauen als für Maenner, wie seine ersten Filme
Nelly, das ist ein Name, den ich liebe, gesteht Sautet. Schon
Romy Schneider sollte einst eine Nelly für mich spielen, aber
sie wollte einfach nicht. Mit Emmanuelle Béart war das
leichter, eine Großmutter von ihr hieß so. Wichtig ist weiter
das Monsieur beim anderen Namen im Titel, es markiert die Stellung,
den sozialen Unterschied zwischen den beiden.
Ein typischer Monsieur also, distinguiert und dezent, und immer
absolut korrekt. Für einen, der sich ein wenig im französischen
Film auskennt, verbindet sich diese Vorstellung nicht unbedingt
mit dem Schauspieler Michel Serrault. Mein Produzent hat ihn
als Darsteller für Monsieur Arnaud vorgeschlagen, und ich reagierte
erst einmal richtig entsetzt. Serraults Ruf gründet sich auf
seine freche Vaudeville-Routine, auf Boshaftigkeit und Sarkasmus,
auf den Erfolg in den Käfigen voller Narren und bei Jean-Pierre
Mocky, auf eine unglaubliche Serie von Farcen und Klamotten und
die seltenen sinistren Charakterstudien bei Claude Miller (Das
Verhör, Das Auge). Dieser Michel Serrault also als Inkarnation
des Bürgertums, als Monsieur Arnaud? Nach dem ersten Schrecken
müssen sich Sautet freilich Erkenntnisse geboten haben, die im
Film subtil mitschwingen; man spürt das an der Beschreibung,
die er von Serraults Arnaud gibt. Auch wenn er lachend die Unterschiede
betont, es könnten durchaus Momente eines Selbstporträts sein:
dort Arnaud, der Einzelgänger, hier Sautet, der Familienmensch.
Arnaud ist ein wenig demode; er verkörpert Eleganz und ein
starkes Element an Prätentiösem. Das ist es, was Serrault voll
realisiert, mit seiner unglaublichen Konzentration, seinem Spiel,
das sehr bewußt, aber doch auch stark instinktiv ist: dieses
kurze weiße Haar, dieser klassische Anzug, die gewählte Artikulation
und Diktion. Er kostet die einzelnen Worte aus, er genießt sie,
er vermittelt um sich eine Atmosphäre der völligen Sicherheit.
Die Begegnung mit Nelly eröffnet ein Spiel für Arnaud, aber
dann bringt er immer stärker das Moment der Verletzlichkeit in
seine Rolle ein: Im Zentrum des Films steht jene Szene, da Arnaud
die schlafende Nelly betrachtet die schöne Schläferin , er
sieht sie nur an, nichts weiter passiert. Das ist der entscheidende
Punkt in der Beziehung der beiden, dieser nächtliche Vertrag.
Keine Liebe, aber ein tiefes Vertrauen
Ein Moment der absoluten
Unschuld, danach wissen wir, daß eine alltägliche Beziehung
zwischen den beiden nicht mehr möglich sein wird.
Eine komplexe Beziehung und doch absolut natürlich. Sautet
sieht sie denn auch ganz einfach was vielleicht eine Frage des
Alters ist. Je älter man wird, desto stärker reduziert man
seine Effekte, sagt er lakonisch, desto weniger braucht man
an Spektakulärem.
von Fritz Göttler ©
Sueddeutscher Verlag GmbH
|
|