|  |    Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. April 1994: Eifersucht Chabrols Film Die Hölle von Thierry Chervel Wenn Schauspieler versagen, ist der Regisseur dran schuld, wenn
              sie überzeugen, ist es ihr eigenes Verdienst, hat Claude Chabrol
              einmal gesagt. Dann ist er also selber schuld. Fast schon rührend
              zu sehen, wie Emmanuelle Béart sich abmüht. Sie biegt
              sich zum Fragezeichen naivdurchtriebener Koketterie  Brust raus,
              Po raus , sie hat weiße Kleidchen mit etwas zu herzigen Dekolletés
              an, sie schmollt, sie tollt, sie rötet sich die Lippen, als
              wäre sie eine dreizehnjährige Lolita  trägt sie
              gar weiße Söckchen in ihren Pumps?   Wie auch immer: es funktioniert nicht. Sie soll als Nelly ein
              bißchen gewöhnlich sein, und doch lugt von der ersten
              Sekunde an immer wieder Emmanuelle Béarts schöner bürgerlicher
              Ernst durch, ihr intensives Sie-selber-Sein, das sie in den Filmen,
              Die schöne Querulantin und Ein Herz im Winter so würdevoll
              und katzenhaft verteidigte. Emmanuelle Béart, so lehrt Chabrols
              Hölle, ist eine Tragikerin, ihre Kunst liegt in Wahrhaftigkeit,
              nicht in Verstellung. Sie ist kein weiblicher De Niro, keine französische
              Meryl Streep. Sie gehört nicht zum Chamäleontyp des Schauspielers,
              der sich mit akrobatischer Kunstfertigkeit in andere Identitäten
              versetzt, sondern zu jenem anderen Typus, der nur überzeugen
              kann, wenn er, in einem wahrscheinlich schmerzhaften Prozeß,
              über sich selber geht. Mag sein, daß sie darum bestimmte
              Rollen gar nicht spielen kann. Der Regisseur hätte das wissen
              müssen.   Durch die Differenz zwischen Emmanuelle Béart und ihrer
              Rolle bricht seine Konstruktion schon zusammen, bevor sie sich im
              Kopf des Zuschauers erst aufbaut. Emmanuelle Béart spielt
              die Ehefrau eines Hoteliers in einer anmutigen Seenlandschaft im
              Süden Frankreichs. Während Paul (François Cluzet)
              sich über die Akten beugt, um seine Schulden zu berechnen,
              tummelt sich Nelly mit den Beaus der Gegend beim Wasserski. Paul
              beobachtet sie zunächst verliebt, dann irritiert, dann mit
              einer Eifersucht, die sich zum Wahn steigert. Die Hölle ist
              ein Montagekunstwerk. Chabrol sieht durch Pauls Augen. Mit den
              Stadien seiner Eifersucht zieht der Regisseur den Zuschauern den
              Boden unter den Füßen weg. Ein Prozeß der Entwirklichung:
              Schäkert Nelly da tatsächlich mit diesem Kerl mit der
              Brustbehaarung, liegt sie am Ende tatsächlich in ihrem Blute,
              oder sind das nur die Halluzinationen ihres Gatten? Gut gedacht.
              Aber da man Nelly ihre  übrigens unschuldige  Leichtfertigkeit
              nicht abnimmt, kann man auch Pauls Eifersucht nicht glauben. Und
              so wird aus dem Montagekunstwerk ein akademisches Konstrukt.   Die Vorgeschichte des Films ist übrigens spannender als dieser
              selbst. Die Hölle beruht auf einem Drehbuch, das Henri-Georges
              Clouzot 1964 geschrieben und schon zur Hälfte realisiert hatte.
              Dreiviertel Stunden Film  die Studiosequenzen liegen in den Archiven
              und sollen nach Berichten der französischen Kinopresse einige
              der aufregendsten Filmszenen mit Romy Schneider enthalten  denn
              Romy Schneider spielte bei Clouzot die Nelly. Besonders suggestiv,
              als eine Art psychedelisches Schattenspiel, scheint Clouzot die
              halluzinatorischen Momente inszeniert haben. Er montierte farbige
              Scheinwerfer auf ein Rad, das er vor ihrem Gesicht kreisen ließ.
              In einer anderen Szene trägt sie ein Hochzeitskleid, über
              ihren Kopf wird eine transparente Plastiktüte gestülpt,
              sie ringt nach Atem. Ans Obszöne soll eine dritte Sequenz grenzen,
              in der Romy Schneider eine jener Metallspiralen liebkost, die in
              den sechziger Jahren als Gadget auf jedem Couchtisch standen.   Clouzots Hölle wurde, nie fertiggestellt. Am dritten Tag
              der Außenaufnahmen erkrankte der Hauptdarsteller Serge Reggiani.
              Clouzot holte sich zwar noch Jean-Louis Trintignant als Ersatz,
              erlitt dann aber selbst einen Herzinfarkt und mußte das Projekt
              endgültig aufgeben. Es hat wohl nicht sein sollen.
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