|   | Wiedergesehen: 
          "Nelly & Monsieur Arnaud"von Anja Beuter 
          <abeuter@gmx.de> (18. September 1999)
       |     |     | Hi,  ich habe gestern abend diesen wunderschoen melancholischen Film von 
          Claude Sautet gesehen. (Warum, zum Teufel, strahlen die Sender franzoesische 
          Filme eigentlich immer erst im Spaetabendprogramm aus? Ist Euch das 
          schonmal aufgefallen?) Die Hauptrollen werden von der bezaubernd schoenen 
          Emmanuelle Beart und dem franzoesischen Nationalheiligtum Michel Serrault 
          (unvergessen: seine Rolle als Moerder in "Die Phantome des Hutmachers") 
          gespielt, und die beiden duerften wahrlich eins der aussergewoehnlichsten 
          Paare des franzoesischen Films sein! Monsieur Arnaud ist ein steinreicher Ex-Geschaeftsmann, der in einer 
          stattlichen Wohnung in einem stattlichen Haus in einem stattlichen Viertel 
          von Paris lebt. Im letzten Lebensdrittel angelangt, von der eigenen 
          Frau und Tochter entfremdet (beide leben schon lange nicht mehr bei 
          ihm) hat er es sich in den Kopf gesetzt, seine Memoiren zu schreiben. 
          Doch so sehr er auch ein notorischer Einsiedler ist, fuer diese Aufgabe 
          engagiert er die stets traurig wirkende Schreibkraft Nelly. Nelly ist 
          in einer laengst nicht mehr funktionierenden Ehe gefangen, die Scheidung 
          laeuft, sie ist ein eher verschlossener, dennoch nichtsdestotrotz hin 
          und wieder auch sehr froehlicher Mensch. Monsieur Arnaud und Nelly kommen 
          sich bei der gemeinsamen Arbeit an seiner Autobiographie ganz langsam 
          naeher - nein, dies ist keine schmierige Geschichte eines Alten, der 
          sich an eine junge Schoenheit heranmacht: Zwischen den beiden ungleichen 
          Menschen entwickelt sich eine zarte Freundschaft, die von grosser Zuneigung, 
          gegenseitigem Verstaendnis und dennoch respektierender Distanz gepraegt 
          ist. Dass ueber allem der Hauch der ganz grossen, jedoch unmoeglichen 
          Liebe schwebt (die FAZ bezeichnete das Verhaeltnis der beiden pointiert 
          als "Liebe im Konjunktiv"), vermittelt sich in fast jeder 
          Szene. Zwei Menschen, die auf ihre ganz persoenliche Weise ungluecklich sind, 
          treffen hier aufeinander und gewinnen im jeweils anderen den wahren 
          Freund, den sie offenbar ihr ganzes Leben lang vergeblich gesucht haben. 
          Monsieur Arnaud blueht foermlich auf, wenn er Nelly sieht, und Nelly 
          geniesst die Naehe des verstaendnisvollen Alten, bei dem sie Geborgenheit 
          und seelische Zuflucht findet. Die Freundschaft scheint zerstoert, als 
          Monsieur Arnaud an einem Abend die bis dahin zwischen ihnen herrschende 
          Distanz durch einen Wutausbruch verletzt und Nelly durch eine ziemlich 
          ungehobelte Bemerkung zu nahe tritt. Unzufrieden mit sich und seinem 
          Buch ("Noch so ein Schinken, den ohnehin keiner lesen wird."), 
          im Grunde aber eigentlich veraergert ueber Nellys Verschlossenheit und 
          seine Unfaehigkeit, ganz zu ihr vorzudringen, provoziert er sie so lange, 
          bis es aus ihr herausbricht: Was ihm einfalle, sie so respektlos zu 
          behandeln und als seelischen Muelleimer zu missbrauchen. Sie habe Besseres 
          mit ihrer Zeit anzufangen als sich das dumme Gerede eines profilneurotischen 
          Greises anzuhoeren. Monsieur Arnaud, nun gaenzlich enthemmt, bruellt 
          ihr, waehrend sie wutentbrannt die Wohnung verlaesst, hinterher: "Sie 
          sollten mal richtig ficken!" Diese grobe Bemerkung aus dem Munde des ansonsten sehr auf Contenance 
          und formvollendetes Benehmen bedachten Grandseigneurs, bei dem "Verzeihen 
          Sie" eine der am haeufigsten verwendeten Phrasen darstellt, kommt 
          sowohl fuer Nelly als auch fuer den Zuschauer wie ein regelrechter Schock. 
          Nelly haelt inne, senkt den Kopf, dreht sich zu Monsieur Arnaud um, 
          der  dies steht ihm ins Gesicht geschrieben  die letzten 
          Minuten am liebsten ungeschehen machen wuerde, und sieht ihn mit ihren 
          grossen traurigen Augen an. Sehr anruehrend ihr verschuechtertes "Ich 
          kann morgen nicht kommen. Uebermorgen?", mit dem sie die Wohnung 
          schliesslich verlaesst. Diese Szene fungiert im Gefuege des Films gewissermassen als Turning 
          Point. Von da an ist nichts mehr so, wie es vorher war: Nellys neue 
          Beziehung zerbricht an seinen uebersteigerten Forderungen und ihrer 
          Bindungsangst, Arnaud verscherbelt all seine kostbaren Buecher (er scheint 
          reinen Tisch machen zu wollen), und zwischen dem Arbeitgeber Arnaud 
          und seiner Angestellten Nelly ist das bis dahin schuetzende Eis gebrochen: 
          Die Wunden sind offen, die Verletzungen gross. Beide scheinen sich nun 
          ihrer Liebe fuer den anderen bewusst zu sein, wenngleich nie auch nur 
          ein Wort darueber gesprochen wird. Wie stark die Zuneigung ist, wird 
          vor allem in folgender Szene deutlich, die zu den schoensten des ganzen 
          Films zaehlt: Nelly sucht Monsieur Arnaud nach einer Auseinandersetzung 
          mit ihrem Freund noch spaetabends in seiner Wohnung auf, bittet ihn 
          um Rat (den er ihr nicht geben kann oder moechte), die beiden trinken 
          Whiskey. Nelly bittet ihren vaeterlichen Freund, bei ihm uebernachten 
          zu duerfen. Wenn Arnaud spaeter das Zimmer betritt, in dem Nelly schlaeft, 
          er sich an ihr Bett setzt und die Schlafende minutenlang betrachtet, 
          beschert Sautet dem Zuschauer eine Szene voller Melancholie! Man haelt 
          unweigerlich selbst den Atem an, um Nelly nur ja nicht zu wecken... Das traurige und gleichzeitig hoffnungsvolle Ende kommt sehr ploetzlich. 
          Arnauds Ehefrau reist aus Genf an, nachdem ihr Lebensgefaehrte gestorben 
          ist. Eigentlich wollte sie nur eine Woche in Paris verbringen, um Abstand 
          zu gewinnen. Doch eines Morgens erreicht Nelly ein Anruf, sie moege 
          so schnell wie moeglich zu ihm kommen, es seien grosse Veraenderungen 
          eingetreten. Als Nelly da ist, eroeffnet ihr Arnaud, dass er und seine 
          Frau eine mehrmonatige gemeinsame Weltreise planen. Die Koffer sind 
          gepackt, das Taxi steht vor der Tuer. Fuer Nelly bricht eine Welt zusammen. 
          Was mich hierbei ganz besonders angeruehrt hat, ist der Mut und Optimismus 
          von Arnaud und seiner Frau: Nachdem ihre Ehe bereits Jahre zuvor gescheitert 
          war, wagen sie jetzt diesen grossen Schritt, und so ist es merkwuerdigerweise 
          der Alte, dessen Leben doch eigentlich gelebt zu sein scheint, fuer 
          den eine gewisse Hoffnung auf das kleine Glueck besteht, und die junge, 
          schoene Nelly, geschieden und wiederum vor den Scherben ihrer zerbrochenen 
          Beziehung stehend, verliert nun auch noch den einzigen Freund, den sie 
          je hatte. Wenn sich Arnaud und Nelly bei der Verabschiedung innig umarmen 
          (der intimste koerperliche Kontakt zwischen beiden, zu dem es je gekommen 
          ist), dann beschleicht einen das Gefuehl der verpassten Chance, einer 
          Chance, die eigentlich nie so recht bestanden hat. Michel Serrault und Emmanuelle Beart geben in diesem Kammerspiel eine 
          beeindruckende Vorstellung ihres schauspielerischen Koennens. Beiden 
          ist die jeweilige Rolle wie auf den Leib geschneidert, und es ist ein 
          Genuss, ihrer Faehigkeit, sowohl die grossen wie auch die kleinen Gefuehle 
          allein durch ihre Blicke und Gesten zu vermitteln, zuzusehen! Zudem 
          - fuer Sautet typisch - ist der Film mit solch einer Liebe zum Detail 
          gedreht worden, dass es eine wahre Freude ist. Wieder einmal bin ich 
          zu dem Schluss gekommen, dass die besten Filme doch meist aus Frankreich 
          kommen! Schoene GruesseAnja
 |  |   |