Für die Film­mu­sik hat Clau­de Sau­tet eine Auf­nah­me des Tri­os und der Sona­ten von Mau­rice Ravel aus­ge­wählt, die im Janu­ar und im Dezem­ber 1973 in Paris (Égli­se Not­re-Dame du Liban) in fol­gen­der Beset­zung auf­ge­zeich­net wurde:

  • Jean-Jac­ques Kan­to­row (Vio­li­ne)
  • Phil­ip­pe Mull­er (Cel­lo)
  • Jaques Rou­vier (Kla­vier Steinway)
  • Auf­nah­me­lei­tung: Michel Garcin
  • Ton­meis­ter: Pierre Lavoix
  • Schnitt: Fran­çoi­se Gar­cin und Pierre Lavoix

Im Bild Clau­de Sau­tet im Krei­se der Film-Musi­ker wäh­rend der Dreharbeiten:

Die einzelnen Titel des Soundtracks:

Trio für Klavier, Violine und Cello

  1. Pre­mier mouvement
  2. Pan­to­um
  3. Pas­sa­cail­le
  4. Final

Sonate für Violine und Cello

  1. Alle­gro
  2. Très vif
  3. Lent
  4. Vif, avec entrain

Sonate für Violine und Klavier

  1. Pre­mier mouvement
  2. Blues
  3. Per­pe­tu­um mobile

Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré (für Violine und Klavier)

Musik von: Mau­rice Ravel (1875–1937)

Musik­re­dak­ti­on: Phil­ip­pe Sarde

Music from the Movies: Phil­ip­pe Sarde

Der Sound­track von Era­to Dis­ques S. A. (1973, 1974) kön­nen Sie auch kau­fen (Amazon.de).

Das CD-Cover:

Regisseur Claude Sautet erzählt über die Auswahl der Musik zu seinem Film:

Der Film „Un cœur en hiver” spielt wäh­rend der Pro­ben und Auf­nah­men zu einer Schall­plat­te mit klas­si­scher Musik.

Nach­dem auf weni­gen Sei­ten knapp umris­sen das Sze­na­rio und die Bezie­hun­gen der Haupt­per­so­nen unter­ein­an­der, zwei Lau­te­nis­ten und eine Vio­li­nis­tin, vor­la­gen, stell­te sich die Fra­ge nach der Musik, also nach dem musi­ka­li­schen Unter­grund, der die Atmo­sphä­re der Hand­lung bedin­gen würde.

Da erin­ner­te ich mich an eine Inter­pre­ta­ti­on des Tri­os und zwei­er Sona­ten von Ravel durch Jean-Jac­ques Kan­to­row… und sogleich wur­de mir bewußt, das ist es und nichts anderes.

Der Anfang des Tri­os bestimmt das Kli­ma des Films: eine tie­fe, doch zar­te, zurück­hal­ten­de Melan­cho­lie. Die bei­den Sona­ten mit ihren fun­keln­den, gleich­sam dia­bo­li­schen Rhyth­men, beson­ders der „Blues” und das „Per­pe­tu­um mobi­le”, gaben mir die Unter­ma­lung für die Arbeit der Gei­ge­rin und die psy­cho­lo­gi­sche Ent­wick­lung der Gestalt.

Ich hör­te mir alle zur Ver­fü­gung ste­hen­den Schall­plat­ten an; doch kei­ne erreich­te die Stren­ge, den Gefühls­ge­halt und die Kraft­fül­le, die aus der Ein­spie­lung von Jean-Jac­ques Kan­to­row spre­chen. Für den Vor­spann muß­te Phil­ip­pe Sar­de den ers­ten Satz des Tri­os so getreu wie mög­lich im Geis­te Ravels kür­zen, oder sagen wir „kon­den­sie­ren”.

Zwei­fel­los spie­gelt der Film auch die Fas­zi­na­ti­on wie­der, die die­ser rät­sel­haf­te Musi­ker seit lan­gem auf mich aus­übt, die­ser eben­so koket­te wie pein­lich sorg­fäl­ti­ge Kom­po­nist, der ein ein­sa­mes Leben führ­te und Auto­ma­ten sam­mel­te, und des­sen ver­bor­ge­ne Emp­fin­dun­gen sich in einer Musik nie­der­ge­schla­gen haben, die ganz Charme und Anmut ist.

(über­setzt von Ger­hard Trautmann)

 

Jean Gallois über das Trio und die Sonaten von Maurice Ravel:

„Ich wür­de ger­ne die gan­ze Kunst, von der das Trio zeugt, gegen das ange­bo­re­ne Kön­nen aus­tau­schen, das aus dem Quar­tett spricht.” Muß die­se Roland-Manu­el gegen­über gemach­te Bemer­kung wört­lich genom­men werden?

Zu dem alt­be­kann­ten Pro­blem des Gleich­ge­wichts zwi­schen Ham­mer- und Zupf­sai­ten­in­stru­men­ten und zu der ein­ge­stan­de­nen, aber doch über­hol­ten Erin­ne­rung an Saint-Saëns, kommt bei dem Klas­si­ker Ravel der Bezug auf tra­di­tio­nel­le Gesetz­mäs­sig­kei­ten hin­zu: das „Trio” wird von einem Satz in Sona­ten­form ein­ge­lei­tet, wäh­rend der drit­te eine Pas­sa­ca­glia ist. Was aber wäre die­se „Kunst”, wenn nicht das magi­sche, über­wäl­ti­gen­de „Könn­nen” hin­zu­kä­me, das die gan­ze Par­ti­tur belebt?

Bevor er 1914 an die Kom­po­si­ti­on geht, hat Ravel den zwei­fa­chen Schock von Stra­win­ski mit dem „Sacre du Prin­temps” und Schön­berg mit dem „Pier­rot lun­aire” erlebt. Sein eige­nes Genie wird davon berei­chert. Mehr denn je trach­tet er danach, mit den Klang­far­ben zu spie­len, jedoch nun­mehr weni­ger durch Ver­schmel­zung, als durch Häu­fung und Schich­tung. Sei­ne krea­ti­ve Begeis­te­rung kennt kei­ne Gren­zen. Daher wohl die Lini­en­füh­rung der Melo­die und die wun­der­bar sub­ti­le Rhyth­mik, durch wel­che die Klang­far­ben erst rich­tig zur Gel­tung gebracht werden.

Das ers­te The­ma des ein­lei­ten­den „Modé­ré” ist fast indif­fe­rent und doch gleich­sam lust­voll ver­hal­ten zu nen­nen, wäh­rend das zwei­te sich anhei­melnd einer nai­ven Zärt­lich­keit hin­gibt. Der sich sehr frei an die malai­si­sche Folk­lo­re anleh­nen­de Satz „Pan­to­um” ver­eint mit gro­ßer metri­scher Viel­falt den klang­li­chen Schwung eines bril­lant beherrsch­ten Scher­zos. Die „Pas­sa­cail­le”, eines der schöns­ten The­men von Ravel, ist ein wun­der­voll poe­ti­sches Not­tur­no, wäh­rend das glän­zen­de, ver­hal­ten aus­drucks­vol­le Fina­le mit sei­nen abwech­seln­den 5/4- und 7/4‑Takten das Werk in einem groß­ar­ti­gen klang­li­chen Feu­er­werk zum Abschluß bringt. Hand­werk und Intui­ti­on, „Kunst und Kön­nen”, sind mit­ein­an­der aus­ge­söhnt, sub­li­mie­ren sich wechselseitig.

Eine ganz ande­re, weit vom „Trio” ent­fern­te Stim­mung beherrscht das von April 1920 bis Febru­ar 1922 kom­po­nier­te „Duo für Vio­li­ne und Cel­lo”, zwei­fel­los das herbs­te, gespann­tes­te und wohl auch dis­kor­dan­tes­te von Ravels Wer­ken. Viel hat sich in der Tat in der Welt ver­än­dert. Der Welt­krieg hat Gedan­ken und Gefüh­le der Men­schen hoch­gra­dig auf­ge­reizt; hin­zu kom­men schmerz­li­che per­sön­li­che Erfah­run­gen wie Krank­heit und der Tod der Mut­ter, aber auch neue ästhe­ti­sche Erkennt­nis­se wie der Jazz und die Neger­kunst. Der Kom­po­nist ver­zich­tet aus­drück­lich auf lieb­li­che Har­mo­nien und Melo­dien, indem er sich in sei­nem Den­ken wie in sei­nem Kom­po­si­ti­ons­stil dem neu­en Anspruch auf extre­me Sach­lich­keit unter­wirft. So ent­steht ein schwie­ri­ges, ja fast gewalt­tä­ti­ges Werk. Aus dem ers­ten The­ma ent­wi­ckeln sich fast alle fol­gen­den, und alle Moti­ve erschei­nen wie­der in dem kraft­voll poly­pho­nen Abschluß. Die Kom­ple­xi­tät der zykli­schen Form läßt aus den Kon­tras­ten und Brü­chen im Wider­spiel der bei­den Solis­ten im ers­ten „Alle­gro”, wie aus der Agres­si­vi­tät des Sat­zes „Très vif”, die kaum durch die ver­hal­te­ne Emo­ti­on des drit­ten Sat­zes oder die kunst­voll rhyth­mi­sier­ten Moti­ve des gran­dio­sen „Fina­les” zurück­ge­drängt wird, so etwas wie Unbe­ha­gen, wenn nicht inne­re Unru­he ent­ste­hen. Nie zuvor hat Ravel eine so her­be, raue Musik geschrie­ben, auch spä­ter nicht.

Neben die­sem Meis­ter­werk erscheint die im Sep­tem­ber 1922 ent­stan­de­ne „Ber­ce­u­se” eher wie ein lie­bens­wür­di­ges Diver­ti­men­to. Liegt aber dahin­ter nicht die Absicht, wie­der zu der Trans­pa­renz, zu der von Fau­ré abge­schau­ten Ein­falt zurück­zu­fin­den, auf des­sen Namen das Stück kom­po­niert ist? Hier hat die Musik ande­re Dimen­sio­nen, ande­re Anlie­gen, näm­lich die Dank­bar­keit sei­nem ehe­ma­li­gen Leh­rer gegen­über und die freund­schaft­li­che Ver­eh­rung für den Meis­ter, der mit sieb­zig Jah­ren gera­de sein bewun­derns­wer­tes Quin­tett für Kla­vier und Strei­cher C‑moll op. 115 voll­endet hat.

Als sei er sich bewußt gewor­den, mit dem „Duo” zu weit und mit der „Ber­ce­u­se” nicht weit genug gegan­gen zu sein, scheint Ravel mit der 1923 bis 1927 ent­stan­de­nen „Sona­te für Kla­vier und Vio­li­ne” sei­ne eige­ne, dis­kre­te­re, klas­si­sche­re Stim­me wie­der­ge­fun­den zu haben. Ist er wei­se gewor­den? Legt er eine Besin­nungs­pau­se ein? Wahr­schein­lich bei­des, und eine Wet­te mit sich selbst, inso­fern als er nicht noch­mals den glei­chen Weg gehen will. Viel­leicht beschäf­tigt ihn auch die Nach­fol­ge von Debus­sy mit sei­nen drei Sona­ten aus dem Jahr 1918. Das Werk ist gefäl­li­ger als das „Duo”, trotz sei­ner Grad­li­nig­keit und sei­ner auf­ge­lo­cker­ten Har­mo­nik. Das ers­te „Alle­gret­to” beginnt mit lan­gen 6/8- und 9/8‑Rhythmen und weist nicht weni­ger als fünf Moti­ve auf. Der zwei­te Satz, „Blues”, irri­tier­te mit sei­nem dop­pel­ten Anlie­gen: er soll­te das gut­bür­ger­li­che Publi­kum scho­ckie­ren und dem Jazz Ein­gang in die erns­te Musik ver­schaf­fen. Daher nach die­ser vor­über­ge­hen­den Erschlaf­fung das stren­ge „Per­pe­tu­um mobi­le”, wie eine flüch­ti­ge Stern­schnup­pe… und im Hin­ter­grund das sar­kas­ti­sche Lächeln von Meis­ter Paga­ni­ni. Gewis­ser­ma­ßen die Aus­söh­nung der Klas­sik mit der Moderne.

(über­setzt von Ger­hard Trautmann)