Ein Herz im Winter
„Ein Herz im Winter” — “Un Coeur en Hiver” — A Heart in Winter”
Frankreich 1992 – Regie: Claude Sautet – Musik: Maurice Ravel
mit André Dussollier (Maxime), Emmanuelle Béart (Camille) und Daniel Auteuil (Stéphane)
 
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Frankfurter Rundschau
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Frankfurter Rundschau, 5. September 1992, Seite 8

Pistolen & Geigen

Erste Wettbewerbsfilme von Rockwell, Sembene, Sautet und eine rumänische Parabel

VENEDIG. Während der mäßig besuchten Eröffnungsgala auf dem Lido war im Büro, drüben in Venedig, die Finanzpolizei tätig. Sie forschte nach Unterlagen über mögliche finanzielle Schiebungen zu Beginn der 80er Jahre, als eine private Firma die Gäste des Festivals betreute und dabei (wie üblich?) Steuern in der Höhe von 450 Mio. Lire unterschlagen haben soll. Wo im vergangenen Jahr noch die Pressefächer der Journalisten waren in einem ebenerdig gelegenen großen Saal des Casinos, das einzig der Akzent als Spielcasino vom Tummelplatz sexueller Spiele unterscheidet: dort ist jetzt die Halle mit ununterbrochen rasselnden „einarmigen Banditen” bestückt, die viel Zulauf haben. Klein Las Vegas auf dem Lido als Rettungsaktion des einstigen Erholungsparadieses des internationalen Großbürgertums? Es rasselt und blitzt an dem Ort; aber die Geräusche der Spielautomaten werden ihn auch nicht mehr aus einem Schlaf erwecken, der schon lange währt. Hier hat man die eigene Zukunft verschnarcht. In den „Schützengräben”, die der Festivalleiter Pontevorco aufgeworfen haben will, sitzt eine bislang enttäuschte Mannschaft. Wäre nicht der morgendliche Besuch in der „Zweiten Heimat” (die wirklich eine für Cineasten ist): das bisherige Aufgebot des Wettbewerbs könnte einen schon jetzt skeptisch stimmen für den Angriffsgeist der diesjährigen Mostra.

Der 1956 geborene US-Amerikaner Alexandre Rockwell – manche mögen seine früheren Spielfilme „Lenz” (nach Buechner), „Heros” (mit David Bowie und den Rolling Stones) oder „Sons” gesehen haben – gehört zur Off-Hollywood-Scene wie Michael Aptet, Susan Seidelman oder Jim Jarmusch, der in Rockwells neuestem Film „In the soup” einen Produzenten spielt. In die Suppe gefallen ist der New Yorker Jungfilmer Adolpho, als er auf den Gangster Joe trifft. Denn Joe, den als ebenso brillant und warmherzig wie raffiniert-hochstaplerisch der schnauzbärtige Symour Cassel spielt, ist auf die Zeitungsanzeige angesprungen, mit der Adolpho sein 500(!)seitiges Filmskript zum Kauf angeboten hatte. Der Autorenfilmer, der seine cineastische Jungfernzeugung, die ihm Dostojewski und Nietzsche eingegeben hatten, verhökert, braucht dringend das Geld für die Miete. Zwei brutale zugleich aber sangesfreudige Mafiosi wollen die ausstehende Miete eintreiben. Aber Adolpho kann die 700 Dollar für sein Skript behalten, weil Joe, der ihn besucht hatte, mit den Kleingangstern wie ein Pate umgeht, der ihren Boss kennt. Freilich verwickelt der väterliche Freund den jungen Naivling in kriminelle Aktivitäten: so klauen sie einen Porsche, der einem Polizisten(!) gehört, plündern eine Wohnung aus und bereiten einen größeren Coup vor. Immer tiefer in die trübe Suppe, die Joe anrührt, gerät der Möchtegern-Regisseur, nachdem Joe die Regie seines Lebens uebernommen hat. Sogar die abweisende Nachbarin, die Adolpho insgeheim für die Hauptrolle seines Monumentalwerks vorgesehen hatte, kommt ihm näher ja: zu nahe. Denn nach und nach bemerkt er, daß sie Teil eines Komplotts ist, das zuletzt Joe das Leben kosten wird. Er hatte die Kreise größerer Banditen gestört; aber sterbend verlangt er Adolpho ab, seine Hirngespinste aufzugeben und eine Love-Story zu verfilmen, die aus dem Leben gegriffen ist. Rockwell inszeniert mit leichter Hand, spielerisch, mit Witz und guter Laune eine Tragikomödie zwischen „Atlantik City” und „La vie de Boheme”. Eine augenzwinkernde Hommage an ein lässig-selbstverliebtes Unterhaltungskino; einen postmodernen Jux wollte er sich da machen, und der ist ihm (etwa anämisch und flapsig) zwischen Jarmusch und spätem Kaurismaeki ganz gut gelungen.

Der 1924 geborene Claude Sautet gehört zu den Altmeistern eines „cinema de qualite” des derzeitigen französischen Films. Ein guter, eleganter metteur-en-scene in der zweiten Reihe, bekannt bei uns u. a. mit „Cesar und Rosalie” oder „Vincent, Francois, Paul und die anderen”. Der Zufall will es auf der Mostra, daß einem die Musik, die in Edgar Reitz' „Zweiter Heimat” wie keine andere Kunst dominiert, auch bei Sautets „Herz im Winter” wieder ausführlich begegnet ebenso die klassische Dreiecks-Situation von „Jules und Jim”, nach der in den 60igern weniger vom Blatt des Romans als nach der Leinwand „geliebt” wurde, auf die Truffauts zärtliches Schattenspiel mit Jeanne Moreau und Oskar Werner fiel. Auch bei Sautet ist es die Frau, die stärkere, wildere, verletzlichere Gefühle zeigt als die beiden Männer, die sie an sich zieht. Eine Violinvirtuosin – die „schöne Querulantin” mit dem Porzellangesicht: Emmanuelle Béart – beginnt eine Liaison mit Maxime (André Dussolier) und Stephan (Danile Auteuil) beäugt das Paar mißtrauisch. Maxime und Stéphane sind Kompagnons eines Geschäfts für Streichinstrumente: Maxime verkauft, Stephan stellt her. Er ist ein Künstler wie Camille: eben das ist die Tragik der beiden. Die Kunst ist dem schweigsamen, in sich gekehrten Stephan: „ein Traum”; die Virtuosin jedoch will die Erotik der Musik in ihr wirkliches Leben holen. Die Hitze ihres Herzens – um beim Titel zu bleiben – trifft auf das „Herz im Winter”, zu dem Stephans Passion geworden ist. Wie er mit seinen Violinen umgeht, so könnte er nie mehr eine Frau „erkennen”. Seine Zärtlichkeit ist fetischisiert, gilt dem Holz, dem zart geschwungenen „Ding”, dem Camille mit erotischer Leidenschaft in Ravels vibrierend-aggressivem Trio ungeahnte Töne entlockt. Sautets „Herz im Winter” wird mit Präzision und Kühle – um nicht zu sagen: klassizistischer Kälte – als ein Ritual der Blicke erzählt. Blau dominiert nicht nur die Hemden und Anzüge der beiden Männer: es ist die Stimmungsfarbe dieser verfehlten Liebe, Augenblicke menschlicher Wahrheit über nicht gelebte Leben, welche die Kunst aussaugte, gespiegelt in einer polierten Welt mit preziös eingefaßten, abwesenden Haltungen.

Der große alte Mann des afrikanischen Films, der Senegalese Ousmane Sembene, verbirgt hinter dem Titel seines jüngsten Films „Guelwaar” eine Parabel auf das Ende des unkorrumpierten Afrikaners, der von den herrschenden „Modernen” umgebracht und gleich zweimal von den Christen und den Moslems beerdigt wird. Freilich ist der Regisseur, mit dem der Aufbruch Afrikas in die Kinogeschichte begann, mit seinen ästhetischen Mitteln bei seinem Anfang stehen geblieben. Die Botschaft hört man wohl, allein es fehlt der Glaube an deren ästhetische Triftigkeit.

Der Rumäne Dan Pita realisierte in Ceausescus „Neuschwanstein”, seinem monstroesen Bukarester „Haus des Volkes”, der nicht fertiggestellt wurde, die Parabel auf die Macht des Potentaten und die Revolte gegen ihn. Immer wieder läßt Pita einen Aufzug an wechselnden Szenen des Terrors, des Wahns und des Sadismus vorüberziehen, um die Parabel vom „Luxushotel” (und seinem unterirdischen Terror) zu visualisieren. Grand- Guignol auf rumänische Art, ein spektakulärer Alptraum mit längst verbrauchten künstlerischen Mitteln: halliges Gespenstertreiben in einer gigantischen Ruine.

von Wolfram Schütte
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