Filmtitel: | “Un cœur en hiver” (französicher Originaltitel) “Ein Herz im Winter” (auch “Herz im Winter”) (deutscher Titel) “A Heart in Winter” (auch “A Heart of Stone”) (englischer Titel) “Un Corazon en Invierno” (italienischer Titel) |
Land: | Frankreich |
Jahr: | 1992 |
Originalsprache: | französisch |
Farbe: | Farbfilm |
Genre: | Drama / Romance (Internet Movie Database) Liebe, Musik (Movieline Filmdatenbank) |
Romanvorlage: | „Ein Held unserer Zeit” von Michail Lermontow, 1840 „Ein eisiges Herz schlägt auf dem Grund dieses Films und treibt die Geschichte gnadenlos ihrem Ende zu. Der dumpfe Schlag stammt von Lermontows Novelle, die beim Drehbuch Pate stand. Darin geht es um einen Mann, der eine Frau zur Liebe verführt, nur um ihr dann sagen zu können: Ich liebe Sie nicht! Von dieser Anekdote ist am Ende nichts als die Abfuhr übrig geblieben, aber man kann ihre Grundzüge noch schemenhaft erkennen. Wie einen bleichen Fisch unter dem Eis eines zugefrorenen Sees.” (Süddeutsche Zeitung, 7. Oktober 1993) |
Filmtechnik: | 35 mm 1:1,66, Dolby |
Weltvertrieb: | Roissy Films |
Verleih in Deutschland: | ProKino, München USA: Released by October Films Film Par Film/Cinea/Orly/DA/Panavision/FR |
Uraufführung: | 01.09.1992, Internationale Filmfestspiele Venedig |
Erstaufführung: | 1993, Filmfest München |
Kinostart in Deutschland: | 07.10.1993 |
Besucherzahlen in Deutschland: | Rang 99 Besucher 1993: 145.406 Personen Quelle: Filmförderungsanstalt |
Regie: | Claude Sautet |
Drehbuch: | Jacques Fieschi, Claude Sautet, Jérôme Tonnerre |
Produzenten: | Gérard Gaultier (geschäftsführend), Philippe Carcassonne, Jean-Louis Livi |
Musik: | Maurice Ravel Philippe Sarde (musikalische Aufsicht) |
Kamera: | Yves Angelo |
Schnitt: | Jacqueline Thiédot |
Produktionsentwurf: | Christian Marti |
Ausstattung: | Christian Marti |
Bühnenbild: | Frédérique Belvaux |
Kostümentwurf: | Corinne Jorry |
Makeup: | Thi-Loan N’Guyen |
Assistant Director: | Yvon Rouve |
Ton: | Marie-Thérèse Boiché (sound editor) Pierre Lenoir (sound) Jean-Paul Loublier (sound mixer) |
Crew: | Geneviève Cortier …script supervisor |
Movieline Filmdatenbank: | http://www.movieline.de/c/display.n/DATA0008988 |
Internet Movie Database: | https://www.imdb.com/title/tt0105682/ |
Die vollständigen Dialoge des Films einschliesslich Regieanweisungen, vielen Szenenfotos, einer Filmographie Claude Sautets und einem kleinen Pressespiegel wurden in folgender Zeitschrift – vollständig in französischer Sprache – publiziert:
„L’Avant-Scène Cinéma”
Paris, Juni 1996 (Ausgabe 453)
Auszeichnungen
1992: Venice Film Festival
- Silberner Löwe: Claude Sautet
- FIPRESCI Award: Claude Sautet
Die Presse, Wien, 4. September 1992, Ressort: Kultur
Musterschüler unter sich
Das Filmfest von Venedig plätschert dahin
Keine großen positiven Überraschungen, keine sonderlich schmerzlichen Enttäuschungen: die 49. Mostra von Venedig plätschert nach einem vielversprechenden Beginn ein wenig sanft vor sich hin — und stellt in einer kleinen, zufälligen Auswahl einander gegenüber, was das Autoren-Kino in Europa und den USA im letzten Jahr hervorgebracht hat:
Claude Sautet, der routinierte Chronist der bourgeoisen Lebenslagen der Pariser Mittvierziger, lieferte mit seinem Wettbewerbsbeitrag „Un coeur en hiver”/„Ein Herz im Winter” ein Gefühls-Drama ab, das nach einer kraftlosen Eröffnung mit seiner kalkulierten, leisen Melodramatik beeindrucken kann. Erzählt wird von einer Liebesgeschichte — von einer komplizierten, wie das Leben so spielt: Die junge Violinistin Emmanuelle Béart („La Belle Noiseuse”) bricht als Geliebte in das routinierte Freundschaftsverhältnis zweier passionierter Lautenbauer ein und läßt ihre Gefühle bald von Daniel Auteuil, dem eifersüchtigen Freund ihres Freundes, verwirren. Das Unglück der gutbürgerlichen Menschen, präzise arrangiert, kühl registriert.
Szenenwechsel zum US-Autorenkino: Außerhalb des Wettbewerbs zeigte man Howard Franklins – mit Joe Pesci und Barbara Hershey wohlbesetztes – Investigations-Drama „The Public Eye”: Eine aufwendige Führung (beträchtlicher Studiodekor-Einsatz ist garantiert) zurück ins New York des Kriegsjahres 1942, in die Welt der Sensationsreporter und Gangster. Ein zurückhaltend seriöser Joe Pesci („Good Fellas”; „My Cousin Vinny”) in der Rolle des passionierten Sensationsphotographen „The Great Berzini” wird darin in einen Korruptionsskandal der blutigen und schwer durchdringbaren Art verwickelt.
Geboten wird ansehnliches Hollywood-Unterhaltungskino (Produzent: Spielbergzögling Zemeckis) mit kleinen Eintrübungen: Franklin übernimmt sich mit der Fülle kleiner und großer Themen und raubt sich selbst, indem er musterschülerhaft Mafiakrieg, politischen Skandal, und zarte Romanze abschreitet, die Konzentration seiner Kino-Vorbilder: Keine Wiedererweckung von düsterer Private-eye-Atmosphäre und Film-noir-Herrlichkeit.
Venedig im Spätsommer: ein Festival das sich kaum Blößen gibt — und auf Außergewöhnliches noch warten läßt.
von Robert Weixlbaumer, Venedig
Frankfurter Rundschau, 5. September 1992, Seite 8
Pistolen & Geigen
Erste Wettbewerbsfilme von Rockwell, Sembene, Sautet und eine rumänische Parabel
VENEDIG. Während der mäßig besuchten Eröffnungsgala auf dem Lido war im Büro, drüben in Venedig, die Finanzpolizei tätig. Sie forschte nach Unterlagen über mögliche finanzielle Schiebungen zu Beginn der 80er Jahre, als eine private Firma die Gäste des Festivals betreute und dabei (wie üblich?) Steuern in der Höhe von 450 Mio. Lire unterschlagen haben soll. Wo im vergangenen Jahr noch die Pressefächer der Journalisten waren in einem ebenerdig gelegenen großen Saal des Casinos, das einzig der Akzent als Spielcasino vom Tummelplatz sexueller Spiele unterscheidet: dort ist jetzt die Halle mit ununterbrochen rasselnden „einarmigen Banditen” bestückt, die viel Zulauf haben. Klein Las Vegas auf dem Lido als Rettungsaktion des einstigen Erholungsparadieses des internationalen Großbürgertums? Es rasselt und blitzt an dem Ort; aber die Geräusche der Spielautomaten werden ihn auch nicht mehr aus einem Schlaf erwecken, der schon lange währt. Hier hat man die eigene Zukunft verschnarcht. In den „Schützengräben”, die der Festivalleiter Pontevorco aufgeworfen haben will, sitzt eine bislang enttäuschte Mannschaft. Wäre nicht der morgendliche Besuch in der „Zweiten Heimat” (die wirklich eine für Cineasten ist): das bisherige Aufgebot des Wettbewerbs könnte einen schon jetzt skeptisch stimmen für den Angriffsgeist der diesjährigen Mostra.
Der 1956 geborene US-Amerikaner Alexandre Rockwell – manche mögen seine früheren Spielfilme „Lenz” (nach Buechner), „Heros” (mit David Bowie und den Rolling Stones) oder „Sons” gesehen haben – gehört zur Off-Hollywood-Scene wie Michael Aptet, Susan Seidelman oder Jim Jarmusch, der in Rockwells neuestem Film „In the soup” einen Produzenten spielt. In die Suppe gefallen ist der New Yorker Jungfilmer Adolpho, als er auf den Gangster Joe trifft. Denn Joe, den als ebenso brillant und warmherzig wie raffiniert-hochstaplerisch der schnauzbärtige Symour Cassel spielt, ist auf die Zeitungsanzeige angesprungen, mit der Adolpho sein 500(!)seitiges Filmskript zum Kauf angeboten hatte. Der Autorenfilmer, der seine cineastische Jungfernzeugung, die ihm Dostojewski und Nietzsche eingegeben hatten, verhökert, braucht dringend das Geld für die Miete. Zwei brutale zugleich aber sangesfreudige Mafiosi wollen die ausstehende Miete eintreiben. Aber Adolpho kann die 700 Dollar für sein Skript behalten, weil Joe, der ihn besucht hatte, mit den Kleingangstern wie ein Pate umgeht, der ihren Boss kennt. Freilich verwickelt der väterliche Freund den jungen Naivling in kriminelle Aktivitäten: so klauen sie einen Porsche, der einem Polizisten(!) gehört, plündern eine Wohnung aus und bereiten einen größeren Coup vor. Immer tiefer in die trübe Suppe, die Joe anrührt, gerät der Möchtegern-Regisseur, nachdem Joe die Regie seines Lebens uebernommen hat. Sogar die abweisende Nachbarin, die Adolpho insgeheim für die Hauptrolle seines Monumentalwerks vorgesehen hatte, kommt ihm näher ja: zu nahe. Denn nach und nach bemerkt er, daß sie Teil eines Komplotts ist, das zuletzt Joe das Leben kosten wird. Er hatte die Kreise größerer Banditen gestört; aber sterbend verlangt er Adolpho ab, seine Hirngespinste aufzugeben und eine Love-Story zu verfilmen, die aus dem Leben gegriffen ist. Rockwell inszeniert mit leichter Hand, spielerisch, mit Witz und guter Laune eine Tragikomödie zwischen „Atlantik City” und „La vie de Boheme”. Eine augenzwinkernde Hommage an ein lässig-selbstverliebtes Unterhaltungskino; einen postmodernen Jux wollte er sich da machen, und der ist ihm (etwa anämisch und flapsig) zwischen Jarmusch und spätem Kaurismaeki ganz gut gelungen.
Der 1924 geborene Claude Sautet gehört zu den Altmeistern eines „cinema de qualite” des derzeitigen französischen Films. Ein guter, eleganter metteur-en-scene in der zweiten Reihe, bekannt bei uns u. a. mit „Cesar und Rosalie” oder „Vincent, Francois, Paul und die anderen”. Der Zufall will es auf der Mostra, daß einem die Musik, die in Edgar Reitz’ „Zweiter Heimat” wie keine andere Kunst dominiert, auch bei Sautets „Herz im Winter” wieder ausführlich begegnet ebenso die klassische Dreiecks-Situation von „Jules und Jim”, nach der in den 60igern weniger vom Blatt des Romans als nach der Leinwand „geliebt” wurde, auf die Truffauts zärtliches Schattenspiel mit Jeanne Moreau und Oskar Werner fiel. Auch bei Sautet ist es die Frau, die stärkere, wildere, verletzlichere Gefühle zeigt als die beiden Männer, die sie an sich zieht. Eine Violinvirtuosin – die „schöne Querulantin” mit dem Porzellangesicht: Emmanuelle Béart – beginnt eine Liaison mit Maxime (André Dussolier) und Stephan (Danile Auteuil) beäugt das Paar mißtrauisch. Maxime und Stéphane sind Kompagnons eines Geschäfts für Streichinstrumente: Maxime verkauft, Stephan stellt her. Er ist ein Künstler wie Camille: eben das ist die Tragik der beiden. Die Kunst ist dem schweigsamen, in sich gekehrten Stephan: „ein Traum”; die Virtuosin jedoch will die Erotik der Musik in ihr wirkliches Leben holen. Die Hitze ihres Herzens – um beim Titel zu bleiben – trifft auf das „Herz im Winter”, zu dem Stephans Passion geworden ist. Wie er mit seinen Violinen umgeht, so könnte er nie mehr eine Frau „erkennen”. Seine Zärtlichkeit ist fetischisiert, gilt dem Holz, dem zart geschwungenen „Ding”, dem Camille mit erotischer Leidenschaft in Ravels vibrierend-aggressivem Trio ungeahnte Töne entlockt. Sautets „Herz im Winter” wird mit Präzision und Kühle – um nicht zu sagen: klassizistischer Kälte – als ein Ritual der Blicke erzählt. Blau dominiert nicht nur die Hemden und Anzüge der beiden Männer: es ist die Stimmungsfarbe dieser verfehlten Liebe, Augenblicke menschlicher Wahrheit über nicht gelebte Leben, welche die Kunst aussaugte, gespiegelt in einer polierten Welt mit preziös eingefaßten, abwesenden Haltungen.
Der große alte Mann des afrikanischen Films, der Senegalese Ousmane Sembene, verbirgt hinter dem Titel seines jüngsten Films „Guelwaar” eine Parabel auf das Ende des unkorrumpierten Afrikaners, der von den herrschenden „Modernen” umgebracht und gleich zweimal von den Christen und den Moslems beerdigt wird. Freilich ist der Regisseur, mit dem der Aufbruch Afrikas in die Kinogeschichte begann, mit seinen ästhetischen Mitteln bei seinem Anfang stehen geblieben. Die Botschaft hört man wohl, allein es fehlt der Glaube an deren ästhetische Triftigkeit.
Der Rumäne Dan Pita realisierte in Ceausescus „Neuschwanstein”, seinem monstroesen Bukarester „Haus des Volkes”, der nicht fertiggestellt wurde, die Parabel auf die Macht des Potentaten und die Revolte gegen ihn. Immer wieder läßt Pita einen Aufzug an wechselnden Szenen des Terrors, des Wahns und des Sadismus vorüberziehen, um die Parabel vom „Luxushotel” (und seinem unterirdischen Terror) zu visualisieren. Grand- Guignol auf rumänische Art, ein spektakulärer Alptraum mit längst verbrauchten künstlerischen Mitteln: halliges Gespenstertreiben in einer gigantischen Ruine.
von Wolfram Schütte
Der Standard, Wien, 5. September 1992, Seite 9
Der Goldene Löwe schläft noch
Venedigs Filmbiennale erwartet ab morgen den ersten großen Publikumsansturm
Auch wenn drei mächtige Scheinwerfer den Sternenhimmel über dem festlich dekorierten Filmpalast bestrahlen und ein Großaufgebot uniformierter Empfangsdamen rege Betriebsamkeit vortäuscht: Nicht selten hat man auf der schütter bevölkerten Asphalt-Plaza zwischen Kinoeingang und Meer das Gefühl, eher einer provinziellen Büroartikel-Messe beizuwohnen denn einem renommierten internatinalen Filmfestival.
Der erste große Publikumsansturm wird erst für das Wochenende erwartet. Und den wenigen Anwesenden blieb bis jetzt nur die wenig verlockende, aber auch nicht völlig verärgernde Wahl zwischen hübsch arrangiertem Entertainment und dezentem Kunstkino. Dementsprechend ist auch das Diskussionsklima: Wohlinformierte Freundlichkeit statt heftiger Emotionen. Lächelnder Kaffeeplausch ersetzt ernsthafte, herzhafte Bekenntnisse.
Was ist über die Verfilmung eines Drehbuchs von Ingmar Bergman durch Daniel Bergman schon mehr zu sagen, als daß die kompositorischen Fähigkeiten des Vaters in der Inszenierung des Sohnes nicht ganz eingelöst werden.
Starker Familiensinn
„Söndagsbarn” („Sonntagskinder”), hier in der Nebenreihe „Woche der Kritik” zu sehen, ist ein recht anrührendes Dokument zwiefach beseitigter Generationenkonflikte: Ingmar versöhnt sich im Film mit einem lebenslangen Angstgegner, seinem Vater. Daniel wird – kinematografischer Nepotismus – zum Vorlaßverwalter seines eigenen überlebensgroßen Altvorderen. Bergmans Kurzfilm „Daniel” (1969), eine nette Montage von Super 8‑Familienfilmen, verbreitete an diesem Tag ein Gefühl kunstvollen Familiensinns.
Eine kleine Überraschung bot im Wettbewerb die neue Arbeit des französischen Alt-Regiestars Claude Sautet („Cesar und Rosalie”): „Un coeur en hiver” („Ein Herz im Winter”) ist eine an Gesellschaftsliteratur von 1900 erinnernde Charakterstudie. Ein Lautenbauer (Daniel Auteuil) im Paris der Jetztzeit kann sich die Liebe zu einer jungen Violinisten (Emmanuelle Béart) nicht eingestehen.
Frei von aufgesetzten Sinnfindungsdialogen, alles in allem ein raffiniertes Gewebe von herzzerreißenden Klängen und Blicken, kommt jedoch auch dieser Film nicht über die Barriere der Gefälligkeit hinaus. Am Ende steht eine etwas diffuse Hoffnung: Neubeginn, ja danke. Nur bitte jetzt noch nicht.
So geht es eigentlich auch dem Kino, das hier zu sehen ist. In dem Vakuum einer letztlich stillschweigenden Einigung zwischen Künstlern und Rezensenten – gleichsam nach dem Motto: „Mehr ist derzeit einfach nicht drin” – nimmt es schon wunder, wenn Filme wie Bertrand Taverniers Pariser Polizei-Doku-Drama „L.627” entstehen.
Der Titel bezieht sich auf einen Passus im französischen Strafgesetz, in dem die Probleme spezialisierter Drogenfahndungs-Einheiten definiert werden. Über zweieinhalb Stunden hetzt ein betont naturalistischer Gesetzeshüter und Anti-Held durch ein Gewirr aus Prostitution, Crack und AIDS-Infizierten.
Zeigefinger-Etüde
Um ihn herum entwickelt Tavernier eine streckenweise brillante Huldigung an unspektakuläre Arbeit am Rand zum sozialen Wahnsinn, leider aber auch eine bisweilen etwas penetrante Etüde für gerunzelte Stirn und erhobenen Zeigefinger: So ist es, meine französischen Mitbürger, und es sollte anders werden. Tatsächlich war der Anlaß für „L.627” eine (mittlerweile überwundene) Drogensucht von Taverniers Sohn.
Die amerikanischen Produktionen ergehen sich am Lido in gepflegter, leichtverdaulicher „Unterhaltung mit Niveau”. The Public Eye, eine von Robert Zemeckis („Zurück in die Zukunft”) produzierte Hommage an die New Yorker Sensations-Fotografen der 40er Jahre, vermochte nur seine Stars zu überzeugen.
Joe Pesci kommt als räudiger Meister des Blitzlichts einem monströsen Mafiakomplott auf die Schliche und verliebt sich nun dabei in eine (für seine Verhältnisse geradezu exquisite) Barbesitzerin, dargeboten von Barbara Hershey. Ein wenig bittersüß, ein wenig spannend, ein wenig komisch, und sehr, sehr berechenbar.
von Claus Philipp (aus Venedig)
1993: French César Awards
- Winner — Best Director: Claude Sautet
- Winner — Best Supporting Actor: André Dussollier
Salzburger Nachrichten, vom 10. März 1993, Seite 7
Außenseiter als großer Sieger – Frankreich feiert sein Kino
„Les Nuits fauves” als bester französischer Streifen
„Cèsar”-Verleihung in Paris: Der Außenseiter-Film „Les Nuits fauves” („Wilde Nächte”) von dem am Freitag im Alter von 35 Jahren an den Folgen von Aids gestorbenen Regisseur Cyril Collard ging als großer Sieger hervor. Erstmals in den Annalen der Akademie wurde eine Produktion doppelt ausgezeichnet: als bester französischer Film des Jahres sowie als bestes Erstlingswerk.
Mit elf Nominierungen war „Indochina” von Regis Wargnier ins Rennen gegangen. Der Film erhielt schließlich fünf Preise: Cathèrine Deneuve bekam – zum zweiten Mal – einen „Cèsar” als beste Hauptdarstellerin. Sie hatte für „Indochina” in den USA bereits den „Golden Globe” erhalten und ist für einen „Oscar” nominiert. Ebenfalls zum zweiten Mal ging der „Cèsar” für die beste Nebendarstellerin an Dominique Blanc. „Indochina” wurde außerdem für Ton, Ausstattung und Kamera ausgezeichnet.
Claude Sautet wurde von den 3.000 Akademie-Mitgliedern erstmals als bester Regisseur für seinen 13. Film „Un coeur en hiver” („Ein Herz im Winter”) bedacht. Bester männlicher Hauptdarsteller wurde Claude Riche, der Partner von Claude Brasseur in „Le Souper” von Claude Molinaro. Die Regisseurin Coline Serreau, deren Film „Die Krise” siebenmal nominiert war, mußte sich mit einem „Cèsar” für das beste Drehbuch begnügen.
Der große Verlierer war Jean-Jacques Annaud mit seiner Verfilmung des Romans von Marguerite Duras, „Der Liebhaber”. Sechsmal nominiert, erhielt er nur einen „Cèsar” für die beste Musik von Gabriel Yared. Der mit 3,2 Millionen Besuchern größte französische Kinoerfolg des Jahres 1992 war – nach einer neuen umstrittenen Regelung – aus der Kategorie des besten Films verbannt worden, da er im Original auf Englisch gedreht worden war. Als bester Film in ausländischer Sprache wurde „Tacones lejanos” von dem Spanier Pedro Almodovar gewählt, der im deutschen Sprachraum unter dem Titel „High Heels” gelaufen ist.
PARIS (dpa)
1993: FELIX (Europäischer Filmpreis)
- “Ein Herz im Winter” (nominiert)
- Bester Darsteller: Daniel Auteuil
- Frankfurter Rundschau, 15.11.1993
- die tageszeitung, 16.11.1993
- Frankfurter Rundschau, 06.12.1993
Frankfurter Rundschau, 15. November 1993, Seite 8
„Felix”-Anwärter nominiert
BERLIN (dpa). Für den europäischen Filmpreis „Felix 93” hat die Jury jetzt die Filme „Benny’s Video” von Michael Haneke (Österreich), „Urga” von Nikita Mikhailkov (Russland) und „Ein Herz im Winter” von Claude Sautet (Frankreich) nominiert. Aspiranten für den „Jungen europäischen Film des Jahres” sind die Werke „Mann beißt Hund” von Remy Belvaux, André Bronzel und Benoit Poelvoorde (Belgien), „Orlando” von Sally Potter (Großbritannien) und „La petite amie d’Antonio” von Manuel Poirier (Frankreich). Die Auszeichnung wird am 4. Dezember in Babelsberg verliehen.
die tageszeitung, Nr. 4165 vom 16. November 1993, Seite 13
Unterm Strich
Die Nominierungen für den Europäischen Filmpreis „Felix” stehen fest. Die Jury empfiehlt die Filme „Benny’s Video” von Michael Haneke aus Österreich, „Urga” von Nikita Mikhailov aus Russland und „Ein Herz im Winter” von Claude Sautet (Frankreich) der Prämierung.
Beworben hatten sich 59 Filme aus 29 Ländern. Um den Titel „Junger Europäischer Film des Jahres” konkurrieren ab sofort „Mann beißt Hund” von Belveaux/Bronzel/Poelvoorde, „Orlando” von Sally Potter und „La petite amie d’Antonio”. Die Jury unter dem Vorsitz von André Delvaux stimmte anschließend in geheimer Wahl über die Preisträger in beiden Kategorien ab. Ihre Stimmen werden am 4. Dezember zu denen der Mitglieder der European Film Academy addiert und die Preisträger während der Verleihung bekanntgegeben.
von FBM
Frankfurter Rundschau, 6. Dezember 1993, Seite 8
Fünf vor Zwölf
Eigentlich ein Kinoabend mit Preisvergabe: Die Verleihung des Europäischen Filmpreises „Felix” in Babelsberg
POTSDAM. Michelangelo Antonioni war persönlich da. Er erscheint als ein sehr alter und auch etwas gebrechlicher Mann jetzt, er hielt keine Rede, und die wenigen Schritte, die er von seinem Sitz aus vor das Publikum machte, um den „Felix” für ein Lebenswerk entgegenzunehmen, waren nicht das, was man gewöhnlich Auftritt nennt. Aber wenn Festlichkeit die Bereitschaft zum gesammelten und höheren Moment meint, dann war sie am Samstag abend in den Babelsberger Filmstudios der Präsenz Michelangelo Antonionis zu verdanken, und ein eher nüchternes, leicht schleppendes, bisweilen trockenes Fest des Europäischen Filmpreises hatte eine Richtung, buchstäblich eine Blickrichtung. Denn die Preisträger, die im Laufe des Abends aufs Podest stiegen und die armlange, bizarr verdrehte Figur namens „Felix” abholten, wandten sich dankend, freudig oder für den europäischen Film pamphletisierend direkt oder indirekt an den italienischen Regisseur in der ersten Reihe.
Fast alle, besonders der Österreicher Michael Haneke, der für „Benny’s Video” den Preis der Kritik bekam, wie Lehrlinge, die beim Meister den Gesellenbrief abholen. Und wie ein solider, selbstbewußter Handwerksbetrieb, der der industriellen Konkurrenz trotzt und sich Wehleidigkeit verbietet, wollte die europäische Film-Family dastehen und vor allem eines vermeiden: Den Eindruck, sich, wie gehabt, an einem zwerghaften „Oscar”-Zwilling zu versuchen. Fünf vor Zwölf ist auch kein Zeitpunkt, um ein Tänzchen um die Uhr zu veranstalten. Noch vor kurzem war von Wim Wenders, dem Kopf der Europäischen Film-Akademie, zu hören, er wüßte nicht, was es zehn Tage vor der Gatt-Entscheidung zu feiern gäbe. Die zehn Tage bis zum 15. Dezember zählen in der genau hundert Jahre langen Geschichte des europäischen Films als die entscheidenden fünf Minuten. Wenders hatte aber bei der vorangehenden Pressekonferenz vor einem simplen Antagonismus USA Europa, Kunst Kommerz gewarnt. Amerikanische Regisseure wie Martin Scorsese, Regisseure mit einem Independent-Bewusstsein, wüßten und sagten, daß der amerikanische Film das transatlantische Echo brauche. An der Persönlichkeit von Wim Wenders, an dieser Art von pragmatischem Visionismus, hängt in diesen Tagen viel. Es ist zu sehen, daß gerade er, dem man märchenhaften Mystizismus oder Weltferne vorwirft, die europäische Tradition des engagierten Künstlers verkörpert, den die Politik nicht aus der Bahn der Kunst wirft.
Fünf vor Zwölf geht es nicht um Champagner-Folklore, sondern um Charakter. Die Wörter „Gala” und „Show” wurden im Um- und Vorfeld der „Felix”-Veranstaltung streng vermieden. Für Firlefanz war auch kein Geld da. Vier Millionen Mark kostete der „Felix” 1992, 2,3 Millionen in diesem Jahr, und einen beträchtlichen Teil zahlte das Land Brandenburg. In Babelsberg war „Felix” schon 1992, und dort scheint er in seinem sechsten Lebensjahr nun endgültig eingeschult und fester reglementiert zu werden. 1993 kamen nur noch Filme in den Endspurt, die in drei europäischen Ländern einen Verleih haben. Da ist ein Kompromiß zuungunsten sperriger und ungewöhnlicher Ästhetik, andererseits der rettende Versuch, „Felix” aus dem Pusemuckel-Schatten ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Daß die Fernsehaufzeichnung beim ZDF aus der Unterhaltungsredaktion in die Filmredaktion transferiert wurde, ist ein anderes Indiz fürs Sichfügen ins Faktische. Denn der Samstag war weiß Gott kein flirrender Unterhaltungsabend, sondern die lockere Verlängerung einer Akademiesitzung mit dem Charakter kämpferischer Selbstwerbung des europäischen Films. Eigentlich ein Kinoabend mit Preisvergabe. Was unterhaltsam wirken sollte, spielte sich nicht auf der Bühne, sondern auf der Leinwand ab. Ein gutes Dutzend filmischer Grußadressen von allen möglichen derzeitigen Drehorten in Europa kam nach Potsdam, dazu gefilmte Gatt-Statements von Stars wie Michel Piccoli. Über einige der Spots sollte sich freundliches Schweigen legen.
Die enorme Filmprominenz im Babelsberger Saal war nicht gekommen, um zu glänzen, sondern um ein Gefühl zu stärken, das des filmeuropäischen Selbst. Jeanne Moreau und Otto Sander sollten die Moderation übernehmen. Aber Jeanne Moreau war krank geworden, und Fanny Ardant sprang für sie ein. Ardant, der französischen Eleganten mit der Erotik latenter Hysterie, stand der Sinn nicht nach Publikumsverführung, sondern nach deutlichen Worten, und das Thema europäische Filmkulturvernichtung glitt in alles, was sie sagte, in die Begrüßung wie in die Erinnerung an Federico Fellini. Fünf vor Zwölf geht es eben nicht anders. Otto Sander, der magere Berliner Engel, der zwischen Hölderlin-Versen und Purzelbäumen keinen wesentlichen Kunstunterschied macht, fand für seine Stimmungsqualitäten bei soviel Ernst der Sache nicht den rechten Rahmen. Er ist, ohne Bühne, Rolle und Drehbuch, fast ein wenig schüchtern. Aber wo es moderat zugeht, haben die Schweigsamen wie Michelangelo Antonioni und die Schüchternen ihren Platz und oft die schönste Wirkung. Maia Morgenstern, die für ihre Rolle in dem rumänischen Film „Balanta” von Lucian Pintilie den Preis als europäische Schauspielerin des Jahres bekam, machte dreimal den Mund auf und wieder zu, bis sie ein Wort ins Mikrophon bekam, drückte den „Felix” an sich, lief vom Podest weg und wurde geliebt.
Daniel Auteuil, der in dem französischen Film „Ein Herz im Winter” von Claude Sautet die Versteinerung eines Schüchternen spielt und dafür den Preis als Schauspieler des Jahres erhielt, wurde von seinem Regisseur bei der Preisvergabe vertreten.
Sally Potter aus England spricht und filmt selbstbewußt. Sie verfilmte „Orlando”, und dieser üppigen Epochen- und Geschlechterreise wurde der Preis in der Kategorie „Junger Europäischer Film des Jahres” zugesprochen. Zum Hauptpreis hin steigerte sich die Stimmung in Richtung Temperamentsausbruch. Schon weil Werner Herzog den Hauptpreis bekanntgab. Er riß seinen Freund Nikita Michalkov in Umarmungslust vom Boden weg.
Michalkovs Film „Urga” ist der Gewinner als Europäischer Film des Jahres. Nicht gerade ein ganz neuer Film. Aber nach den Reglements muß ein Film im Heimatland im Verleih sein, und das dauerte für Urga in Russland ein wenig. Dem allen ging noch ein Sonderpreis und ein besonderes Moment voraus. Den Preis für besondere Verdienste erhielten Erika und Ulrich Gregor aus Berlin und Naum Kleiman aus Moskau. Kleiman ist Filmhistoriker und Direktor des Moskauer Filmmuseums. Bei den Gregors ist es schwer zu sagen, was sie sind, da sich die Aufgaben, die Herz und Hirn in einem Körper erfüllen, funktionell nur unzureichend definieren lassen. Die Gregors sind zwar „Gründer und Leiter des Internationalen Forums des jungen Films der Berliner Filmfestspiele”. Aber was heißt das? Sie sind das Zentrum eines Kreislaufs, in dem Filmkultur, Filmgeschichte und Filmfreundschaft zirkulieren. Sie sind Freunde von Naum Kleiman aus Moskau zum Beispiel, was man sehen konnte.
Im übrigen weiß die europäische Filmöffentlichkeit jetzt, wie sich, nach Selbstaussage von Frau Gregor, die Gregors kennengelernt haben. Erika (noch nicht „Gregor”) besuchte die Vorführung des Films „Menschen am Sonntag” in einem studentischen Filmclub mit anschließender Diskussion. Sie äußerte eine Meinung, die sich zu allen anderen geäußerten Meinungen konträr verhielt und ging weg, wie man ahnen kann, leicht indigniert. Einer, als Ulrich Gregor namentlich noch nicht bekannt, kam ihr nach und fragte, ob sie nicht mal wieder kommen würde, die Diskussionen seien normalerweise zu langweilig. So also fangen Leidenschaften und leidenschaftliche Lebenswerke an.
von Ursula März
1993: Prix Méliès (Französischer Kritikerpreis)
- Winner: Claude Sautet
sda — Schweizerische Depeschenagentur, 28. Januar 1993 um 09:46:00 Uhr (bsd Basisdienst)
Französischer Kritikerpreis für „Un coeur en hiver” von Sautet.
Paris, 28. Jan.
Der französische Regisseur Claude Sautet („Die Dinge des Lebens”) hat am Mittwoch in Paris für seinen jüngsten Film „Un coeur en hiver” („Ein Herz im Winter”) den diesjährigen Preis der französischen Filmkritik „Prix Méliès” erhalten. Die mit grosser Sensibilität geschilderte Dreiecks-Liebesgeschichte mit Emmanuelle Béart, André Dussolier und Daniel Auteuil in den Hauptrollen war bereits mit dem Preis der Filmakademie sowie bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet worden.
Der Preis für den besten ausländischen Film ging zu gleichen Teilen an den belgischen Streifen „C’est arrivé chez vous” von Rémy Belvaux, André Bonzel und Benoir Poelvoode sowie die chinesische Produktion „Qiu Ju une femme chinoise” von Zhang Yimou.
rv, (sda/afp)
Frankfurter Rundschau, 1. Februar 1993, Seite 8
Französischer Kritikerpreis für „Un coeur en hiver”
Der französische Regisseur Claude Sautet („Die Dinge des Lebens”) hat für seinen jüngsten Film „Un coeur en hiver” („Ein Herz im Winter”) den diesjährigen Preis der französischen Filmkritik „Prix Melies” erhalten. Die mit großer Sensibilität geschilderte Dreiecks-Liebesgeschichte mit Emmanuelle Béart, André Dussolier und Daniel Auteuil in den Hauptrollen war bereits mit dem Preis der Filmakademie sowie bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet worden.
PARIS (AFP).
1993: National Board of Review
Best Foreign Film – Winners: Farewell, My Concubine (HongKong), El Mariachi (Mexico), Un Coeur en Hiver (France), The Story of Qiu Ju (China), The Accompanist (France)
1993: 38th David di Donatello Awards
Best Foreign Film: Un coeur en hiver — France — Claude Sautet
Best Foreign Actor: Daniel Auteuil — Un coeur en hiver
Best Foreign Actress: Emmanuelle Beart — Un coeur en hiver / Emma Thompson — Howards End
1994: British Academy Award
BAFTA Film Award
von der British Academy of Film and Television Arts:
- Best Film not in the English Language: Claude Sautet (nominiert)