Ein Herz im Winter
„Ein Herz im Winter” — “Un Coeur en Hiver” — A Heart in Winter”
Frankreich 1992 – Regie: Claude Sautet – Musik: Maurice Ravel
mit André Dussollier (Maxime), Emmanuelle Béart (Camille) und Daniel Auteuil (Stéphane)
 
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Emmanuelle Béart…
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Focus FOCUS Nr. 34/1995 vom 21.08.1995 (Seite 82)

Sinnlich, schön scheu

von Lars-Olav Beier, © Focus Verlag und Redaktion

Sie ist der Star, daran gibt es keinen Zweifel. Nicht mehr als zehn Schritte muß sie vom Dekor bis zur Sitzecke zurücklegen, in der das Interview stattfindet. Dennoch wird sie begleitet, als könne sie sich dabei verlaufen. Kaum hat sie Platz genommen, nestelt hinter ihr jemand an ihren Haaren herum. Von rechts werden ihr Zigaretten gereicht, von links Kaffee. Dann sieht sie nach vorn, und ihr Blick ist fordernd. Denn von dort kommen die Fragen.

So kritisch, wie Emmanuelle Béart den ersten Schluck Kaffee kostet, prüft sie jede Frage, ob sie es wert ist, beantwortet zu werden. Respekt muß man sich bei ihr verdienen und erkämpfen. Man stößt auf den gleichen Widerstand, den Michel Piccoli als Maler in „Die schöne Querulantin” brechen muß, um sie als Modell gefügig zu machen. Man spürt den gleichen Stolz, den Daniel Auteuil in „Ein Herz im Winter” voller Absicht verletzt, indem er sie in sich verliebt macht, um sie dann zurückzuweisen.

Sprung nach vorn: Emmanuelle Béart hat sich in den letzten Jahren in die erste Riege französischer Schauspielerinnen vorgekämpft. Bereits Mitte der 70er Jahre stand sie vor der Kamera und wirkte fortan in knapp 15 Filmen mit. Mit Jacques Rivettes „Schöner Querulantin” (1991), einer hochkomplexen Studie über den Schaffensprozeß eines Malers, kam der Durchbruch. Seitdem hat sie mit Regisseuren wie André Téchiné („Ich küsse nicht”), Claude Sautet („Ein Herz im Winter”) oder Claude Chabrol („Die Hölle”) gearbeitet.

Nun ist sie in „Eine französische Frau” zum viertenmal an der Seite von Daniel Auteuil, ihrem ehemaligen Lebensgefährten, zu sehen. Im Herbst wird „Nelly & Monsieur Arnaud”, ihr zweiter Film unter der Regie von Claude Sautet, in die Kinos kommen.

Danach folgt ihr Hollywood-Debüt: Neben Tom Cruise spielt sie in „Mission: Impossible” (einer Kinoadaption der Fernsehserie „Kobra, übernehmen Sie!”) die weibliche Hauptrolle. Regie: Brian De Palma.

In den Pariser Éclair-Studios sind Ermüdungserscheinungen zu spüren. Claude Sautets Dreharbeiten von „Nelly & Monsieur Arnaud” gehen in die 14. Woche, und womöglich wird es nicht die letzte sein. Da läßt sich der Produzent auf Anhieb erkennen: Er hat die schärfsten Bügelfalten und die tiefsten Sorgenfalten.

Siebzehnmal hat Sautet die Einstellung wiederholen lassen, und er ist noch immer nicht zufrieden. Dabei handelt es sich scheinbar um nichts Kompliziertes, nur um einen kurzen Wortwechsel zwischen Béart und Jean-Hugues Anglade, einem ihrer beiden Partner (der andere ist Michel Serrault).

Emmanuelle wird auch beim nächsten Versuch nicht die Nerven verlieren. 17mal ist sie diese Einstellung angegangen, als betrete sie Neuland: Mal hat sie ihre Bewegungen unmerklich verlangsamt, mal eine Geste verknappt oder ein Wort verschluckt. Kein Take gleicht dem anderen.

„Innerhalb eines enggesteckten Rahmens habe ich alle Freiheiten”, sagt sie. „Das gefällt mir, denn ich versuche stets, meine Mitspieler zu überraschen, immer noch etwas in der Hinterhand zu behalten. So kann ich eine Beziehung viel besser entwickeln, als wenn ich gleich alle Karten auf den Tisch lege.”

Auch Daniel Auteuil und sie haben sich meist unabhängig voneinander auf ihre gemeinsamen Projekte vorbereitet. Unter einem Dach gingen sie getrennter Wege, um sich vor der Kamera wie Unbekannte begegnen zu können.

„Es gibt zwischen uns eine große Solidarität, aber auch eine große Rivalität”, meint sie. „Wenn wir als Schauspieler aufeinandertreffen, sind das immer Zweikämpfe.” So sind die Rollen der beiden oft schon auf den Konflikt angelegt: Während Auteuil in „Ein Herz im Winter” ihre Leidenschaft entfacht, bis sie sich darin fast verzehrt, treibt sie ihn in „Eine französische Frau” mit ihrer Untreue bis zur Raserei.

Erbitterte Machtkämpfe mit den Männern müssen die Personen, die sie verkörpert, fast immer austragen (besonders extrem in Chabrols „Die Hölle”, wo sie sich der krankhaften Eifersucht ihres Mannes völlig unterordnet).

Doch Figuren, die sie mit aller Kraft verteidigen muß, sind ihrer Ansicht nach die größte Herausforderung. So werden viele ihrer Darstellungen Studien weiblichen Aufbegehrens gegen männliche Besitzansprüche.

Als Modell in „Die schöne Querulantin” und als Schauspielerin in „Die Reise des Capitan Fracassa” (Regie: Ettore Scola) wird sie gezwungen, sich zu verstellen. Sie scheint fasziniert davon, sich selbst ganz aufzugeben, ist aber andererseits nicht bereit, sich der Kunst kampflos zu ergeben. Sie bleibt starr, wenn sie sich bewegen soll, und lacht, wenn sie weinen soll. Ihr Protest braucht keine Worte. „Es stört mich nicht im geringsten, wenn ich nur wenige Dialogsätze habe. Worte sind mir oft im Weg, in der Stille fühle ich mich wohler.”

Versunken im Spiel: Als Violinistin in „Ein Herz im Winter” scheint sie ganz und gar in der Musik aufzugehen. Doch kaum ist Daniel Auteuil zur Probe erschienen, spürt sie seine Anwesenheit. Als sie sich dazu durchringt aufzuschauen, treffen sich ihre Blicke – sie zuckt zurück. Zu spät: Sie hat ein Auge riskiert und ihr Herz dabei verloren.

Es ist einer der wenigen direkten Blicke, die man von Emmanuelle Béart kennt, denn sie scheint immer ein wenig Versteck mit der Kamera zu spielen. In Nah- oder Großaufnahmen wendet sie ihr Gesicht oft ab und ist deshalb meist nur im Halbprofil zu sehen.

„Ich glaube, unbewußt möchte ich vor der Kamera davonlaufen”, gesteht sie. „Doch Sautet läßt mir keine Chance, weil er ehrliche Blicke mag. Er ist der einzige Regisseur, der mich dazu bringt, meinen Kopf geradezuhalten. Er ist das Rückgrat meines Spiels. Wenn er nicht da ist, wende ich den Kopf sofort wieder ab. Gefilmt zu werden ist ein ganz eigenartiges Erlebnis: sehr beglückend und sehr beängstigend.”

Die Frau, die die Männer liebte: In „Eine französische Frau” spielt sie eine Figur, die es genießt, wenn alle Blicke ihr gehören. Liebe ist für Jeanne das Lebenselixier, die Treue wäre für sie der Tod. Wenn sie am Ende auf der Strandpromenade flaniert, weiß sie, daß ein junger Mann hinter ihr die Augen nicht von ihr lassen kann. Ein neuer Liebhaber ist gefunden. In dem Moment können wir miterleben, daß es keinen faszinierenderen Win-kel auf dieser Welt gibt als den Augenwinkel einer Frau.

Schrill ertönt eine Glocke. Die nächste Einstellung ist vorbereitet, das Gespräch beendet. Freundlich, aber kühl bedankt sich Emmanuelle Béart und geht die zehn Schritte zurück zum Dekor. Mit Begleitung. Sie hat einen himbeerfarbenen Bademan-tel mit weißen Flusen an, der an Scheußlichkeit nicht zu überbieten ist. Doch sie trägt ihn mit Selbstbewußtsein, Anmut und der Bewußtheit, daß sogar er ihrer Schönheit nichts anhaben kann.

   
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